Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie: Anwendung, Verfahren und Praxisleitfaden

Wer explosionsgefährdete Bereiche sicher und rechtskonform ausrüstet, kommt an Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie nicht vorbei. Sie schaffen Vermutungswirkung, beschleunigen die Konformitätsbewertung und liefern belastbare Prüfkriterien. Der folgende Leitfaden zeigt, wann die ATEX-Richtlinie greift, wie Sie harmonisierte Normen praxisnah auswählen und dokumentieren, und welche Module, Nachweise und Best Practices den Marktzugang reibungslos machen.

Wann gilt die ATEX-Richtlinie 2014/34/EU?

Die ATEX-Richtlinie 2014/34/EU betrifft Geräte und Schutzsysteme, die Sie in potenziell explosionsfähigen Atmosphären einsetzen. Explosionsgefahr entsteht, wenn brennbare Gase, Dämpfe, Nebel oder Stäube mit Luft ein explosionsfähiges Gemisch bilden und ein wirksames Zündpotential vorliegt. Arbeiten Geräte unter solchen Bedingungen, müssen Konstruktion, Prüfung, Dokumentation und Kennzeichnung den ATEX-Anforderungen entsprechen.

Typische Branchen und Atmosphären

  • Chemie und Lacke: Lösungsmittel- und Dampf-EX
  • Lebensmittel und Landwirtschaft: Mehl-, Zucker-, Getreidestäube
  • Bergbau: Methan- und Kohlenstaubgefahr
  • Mineralölwirtschaft: Tanklager und Tankstellen
  • Silos, Mühlen, Fördersysteme für Schüttgüter

Für die Auswahl der Gerätekategorie zählen die Zone (Gas: 0/1/2; Staub: 20/21/22), die Gerätegruppe (Gruppe I: Bergbau; Gruppe II/III: übrige Bereiche) sowie die Zündschutzart und Temperaturklasse. Diese Eckdaten bestimmen die Konformitätsmodule und den Umfang der Prüfungen.

ATEX und Maschinenrichtlinie: Was gilt parallel?

Viele Anlagen erfüllen zugleich die Definition einer Maschine und arbeiten in EX-Zonen. Dann gilt ein doppelter Rechtsrahmen: Sie führen die Risikoanalyse nach dem Maschinenrecht durch und erfüllen zusätzlich die ATEX-Anforderungen an Zündschutz, Eignung und Kennzeichnung. In der Praxis kombinieren Hersteller die technische Risikobeurteilung mit den relevanten ATEX-Zündschutz- und Prüfanforderungen und schließen den Prozess mit der passenden Konformitätsbewertung ab.

Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie: Zweck und Nutzen

Harmonisierte Normen konkretisieren die grundlegenden Anforderungen der ATEX-Richtlinie. Setzen Sie sie vollständig und korrekt um, entsteht die Vermutungswirkung: Behörden und notifizierte Stellen gehen davon aus, dass Ihr Produkt die entsprechenden ATEX-Anforderungen erfüllt. Das senkt Auslegungsrisiken, verschlankt Prüfprogramme und erleichtert die Nachweisführung.

Vermutungswirkung durch Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

Die Vermutungswirkung greift nur, wenn Sie die Norm vollständig anwenden und die Umsetzung nachweisbar dokumentieren. Dazu zählen konstruktive Auslegungen, Stück- und Typprüfungen, Kennzeichnungsregeln, Betriebsanleitungen sowie die Rückverfolgbarkeit der verwendeten EX-Komponenten. Weichen Sie ab, müssen Sie die Gleichwertigkeit Ihrer Lösung technisch belegen – etwa durch zusätzliche Prüfungen oder Berechnungen.

Status und Anzahl der Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

Im Amtsblatt der EU finden Sie derzeit rund 108 Verweisungen auf harmonisierte Normen zur 2014/34/EU. Sie decken generische Grundsätze, zündschutzart-spezifische Anforderungen und Prüfmethoden für elektrische und nichtelektrische Geräte sowie Schutzsysteme ab. Beachten Sie den jeweiligen Stand der Fundstellen, Übergangsfristen und ersetzte Ausgaben.

Praxis: Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie richtig auswählen

Beginnen Sie mit einer sauberen Eingangsdefinition: Zone, Medium (Gas/Staub), Temperaturklasse, maximale Oberflächentemperaturen, Betriebszustände, mögliche Zündquellen. Danach wählen Sie systematisch die Normen:

  • Grundlagennormen: z. B. EN 1127-1 (Explosionsverhütung und -schutz), EN 60079-0 (allgemeine Anforderungen), EN 80079-36/-37 (nichtelektrische Geräte, Konstruktionsschutz).
  • Zündschutzarten (Auswahl): EN 60079-1 (druckfeste Kapselung „d“), EN 60079-2 (Überdruckkapselung „p“), EN 60079-7 (erhöhte Sicherheit „e“), EN 60079-11 (Eigensicherheit „i“), EN 60079-31 (Staubschutz „t“).
  • Prüf- und Stoffdaten: z. B. EN 1839 (Explosionsgrenzen, Grenz-Sauerstoffkonzentration), EN 14460 (druckstoßfeste Geräte).

Beispiele zentraler Normen und Anwendungsfälle

  • Förderschnecke in Zone 21: Fokus auf nichtelektrische Zündquellen (Reibung, Schlag), EN 80079-36/-37, Staubschutz nach EN 60079-31.
  • Schaltschrank für Zone 1: Zündschutzart „d“, „e“ oder „p“ je nach Konzept; EN 60079-1/-7/-2 plus EN 60079-0.
  • Messkreis in Zone 0: Eigensicherheit „i“ nach EN 60079-11, Systemnachweis inkl. zugehöriger Apparate.

Prüfen, dokumentieren, kennzeichnen mit Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

Die Normen legen Prüfverfahren (z. B. Temperaturanstieg, Spaltweiten, IP-Schutz, Isolationsfestigkeit), Dokumentationsinhalte (Risikobeurteilung, Prüfergebnisse, Fertigungskontrollen) und die Ex-Kennzeichnung (Gerätegruppe, Kategorie, Zündschutzart, Temperaturklasse, EPL) fest. Halten Sie die Nachvollziehbarkeit ein – von der Konstruktionsentscheidung bis zur Serienfertigung.

Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie im Konformitätsverfahren

Die ATEX-Richtlinie koppelt die Konformitätsmodule an die Gerätekategorie. Höchste Kategorien (1G/1D, M1) erfordern in der Regel die Einbindung einer notifizierten Stelle. Niedrigere Kategorien (z. B. 3G/3D) erlauben oft die interne Produktionskontrolle. Harmonisierte Normen strukturieren den Nachweis und verkürzen Begutachtungen.

Wann Sie eine notifizierte Stelle einbinden

  • Kategorie 1 (Gruppe II) bzw. M1 (Gruppe I): i. d. R. EU-Baumusterprüfung (Modul B) plus Produktions- oder Produktüberwachung (Module D, E, F).
  • Kategorie 2: häufig Modul B plus D/F; Ausnahmen je nach Bauart.
  • Kategorie 3: meist Modul A (interne Produktionskontrolle) ohne Drittstelle, sofern alle Anforderungen erfüllt und dokumentiert sind.

Wie Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie den Prozess beschleunigen

  1. Technische Klarheit: Akzeptierte Lösungen senken Diskussionsbedarf und reduzieren Nachtests.
  2. Transparente Prüfpläne: Normative Testkataloge vermeiden Interpretationsspielräume.
  3. Kürzere Durchlaufzeiten: Saubere Normenumsetzung erleichtert Audits und Zertifizierung – und spart Kosten.

Nachweise und Dokumente unter ATEX

Der Marktzugang steht und fällt mit vollständigen, konsistenten Nachweisen. Diese Dokumente sollten Sie frühzeitig planen und durchgängig pflegen:

EU-Konformitätserklärung

  • Gilt für fertige Geräte und Schutzsysteme.
  • Der Hersteller erklärt die Übereinstimmung mit ATEX (und ggf. weiteren Rechtsakten).
  • Voraussetzung: erfolgreich abgeschlossenes Konformitätsverfahren gemäß gewähltem Modul.
  • Notwendig für das Inverkehrbringen und die CE-Kennzeichnung mit Ex-Angaben.

Konformitätsbescheinigung für Komponenten

  • Betrifft wesentliche EX-Komponenten, die allein kein vollständiges Gerät bilden.
  • Bescheinigt die Einhaltung relevanter ATEX-Forderungen für den Bauteilzweck.
  • Hersteller legt die Bescheinigung jeder Lieferung bei; Systemhersteller bezieht sie in die Gesamtdokumentation ein.

EU-Baumusterprüfung und Folgemodule

  • EU-Baumusterprüfbescheinigung (Modul B) durch eine notifizierte Stelle.
  • Produktionsqualitätssicherung (Modul D/E) oder Produktprüfung (Modul F) ergänzen Modul B.
  • Einzelprüfung (Modul G) oder umfassende Qualitätssicherung (Modul H) als Alternativen je nach Fall.

Von der Risikoanalyse zur Umsetzung mit Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

Struktur schlägt Komplexität: Mit einem klaren Vorgehensmodell reduzieren Sie Risiken und vermeiden Schleifen in Prüflabors oder bei notifizierten Stellen.

Schritt-für-Schritt-Vorgehen mit Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

  1. Zone und Medium klären, Stoffdaten ermitteln (Explosionsgrenzen, Zündtemperaturen, Staubeigenschaften).
  2. Gerätegruppe und -kategorie festlegen, Ex-Markierung als Zielbild definieren.
  3. Normenlandschaft bestimmen (Grundlagen, Zündschutzarten, Prüf-/Stoffnormen).
  4. Konstruktion und Auswahl von Komponenten anhand der Normen umsetzen.
  5. Prüfplan erstellen, interne/externen Tests durchführen, Ergebnisse dokumentieren.
  6. Konformitätsmodul wählen, ggf. notifizierte Stelle einbinden.
  7. Technische Dokumentation, Anleitung, Markierung finalisieren; EU-Konformitätserklärung ausstellen.
  8. Serienüberwachung und Änderungsmanagement etablieren.

Schnittstellen zu weiteren Rechtsakten

Prüfen Sie neben ATEX die anwendbaren Rechtsakte wie Maschinenrecht, EMV-Anforderungen und ggf. Niederspannung. Weisen Sie Kombinationskonformität konsistent nach und behalten Sie sich ändernde Fundstellen harmonisierter Normen im Blick.

Fehler vermeiden: Best Practices für ATEX-Projekte

Viele Probleme lassen sich vermeiden, wenn Sie typische Fallstricke früh adressieren.

Best Practices mit Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

  • Zone schlägt Wunsch: Gerätekategorie strikt anhand der Zoneneinteilung auswählen.
  • Temperaturmanagement ernst nehmen: Oberflächentemperaturen unter Staubbelag bewerten, nicht nur an freier Luft.
  • Nichtelektrische Zündquellen berücksichtigen: Reibung, Schlag, heiße Oberflächen, Kompression, statische Aufladung.
  • Systemdenken anwenden: Ex-Schutz ergibt sich aus Gerät, Installation und Umgebung – Integration planen und dokumentieren.
  • Konfigurationskontrolle sichern: Änderungen an Materialien, Spaltmaßen oder Dichtungen können Zündschutzarten kompromittieren.
  • Prüfmittel und Kalibrierung pflegen: Messfehler verlängern Zertifizierungen und schwächen Nachweise.
  • Dokumentation als Produktbestandteil verstehen: Klare Anleitungen, Wartungs- und Inspektionspläne sind Sicherheitsmaßnahmen.

FAQ: Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie

Muss ich immer eine notifizierte Stelle einbinden?

Das hängt von der Gerätekategorie ab. Bei Kategorie 1 (Gruppe II) bzw. M1 (Gruppe I) ist die Beteiligung einer notifizierten Stelle in der Regel verpflichtend, meist über Modul B (EU-Baumusterprüfung) mit einem Folgemodul. Bei Kategorie 3 reicht häufig Modul A (interne Produktionskontrolle), sofern Sie alle Anforderungen vollständig erfüllen und dokumentieren.

Meine Maschine erfüllt das Maschinenrecht – reicht das für EX-Bereiche?

Nein. Die Erfüllung der Maschinenanforderungen ersetzt ATEX nicht. Sie müssen Zündquellen in explosionsfähiger Atmosphäre gesondert bewerten, passende Zündschutzarten wählen, die einschlägigen Normen anwenden und das ATEX-Konformitätsverfahren durchführen.

Welchen konkreten Vorteil bieten Harmonisierte Normen zur ATEX-Richtlinie?

Sie erzeugen Vermutungswirkung, liefern akzeptierte Konstruktions- und Prüfregeln und machen Prüfprogramme reproduzierbar. Das reduziert Diskussionen mit Behörden und notifizierten Stellen und verkürzt die Zeit bis zur Markteinführung.

Unterschied zwischen EU-Konformitätserklärung und Konformitätsbescheinigung?

Die EU-Konformitätserklärung betrifft fertige Geräte oder Schutzsysteme und erklärt die Übereinstimmung mit ATEX (und weiteren Rechtsakten). Die Konformitätsbescheinigung bezieht sich häufig auf EX-Komponenten, die als Einzelteil geliefert werden und für den Systemnachweis erforderlich sind.

Worauf kommt es bei der Risikoanalyse in EX-Atmosphären an?

Identifizieren Sie alle Zündquellen – elektrisch und nichtelektrisch –, berücksichtigen Sie Stoffdaten (Zündtemperatur, Explosionsgrenzen), die Zoneneinteilung sowie Betriebszustände und legen Sie daraus Kategorie, Zündschutzart und Prüfprogramm fest.

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