GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Pflichten, Ausnahmen und Praxisleitfaden 2025

Die EU hebt die Latte für sichere Produkte spürbar an: Mit der Verordnung (EU) 2023/988 gilt seit dem 13. Dezember 2024 ein neues, unmittelbar anwendbares Regelwerk. Im Zentrum steht die Frage: GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit. Was ändert sich konkret, welche Produkte fallen in den Anwendungsbereich, und welche Pflichten treffen Hersteller, Importeure und Händler? Dieser Beitrag liefert eine klare Abgrenzung, erläutert Ausnahmen, zeigt praxisnahe Schritte zur Umsetzung und erklärt, wie Safety Gate das bisherige RAPEX-System ablöst.

Ob elektrische Zahnbürste, vernetztes Spielzeug, mechanisches Handwerkzeug oder smarte Haushaltsgeräte: Sobald ein Produkt Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung steht oder absehbar von ihnen genutzt werden kann, greift das „Sicherheitsnetz“ der GPSR – sofern kein spezieller EU-Rechtsakt (z. B. Maschinenrecht, Niederspannung, ATEX) Vorrang hat. Für Unternehmen bedeutet das: strukturierte Risikobetrachtung, belastbare Dokumentation, aktive Marktbeobachtung und konsequente Rückverfolgbarkeit über die gesamte Lieferkette.

Spis Treści

Was gilt, wenn ein Produkt nicht unter die Maschinenrichtlinie fällt?

Viele Produkte sind keine „Maschinen“ im klassischen Sinn. Sie besitzen keinen eigenen Antrieb oder erfüllen die Begriffsmerkmale der Maschinenvorschriften nicht – Beispiele sind manuelle Pressen, einfache mechanische Werkzeuge oder Hilfsgeräte ohne energiegetriebene Funktionen. Bedeutet das regulatorische Leere? Nein. Fehlt ein spezieller Harmonisierungsrechtsakt, greift die GPSR als allgemeiner Sicherheitsrahmen. Sie stellt sicher, dass auch Produkte ohne CE-Kennzeichnungspflicht nicht zu inakzeptablen Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher führen.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Geltungsbereich und Abgrenzung

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Vom Rechtsinstrument zur unmittelbaren Geltung

Die GPSD war eine Richtlinie: Mitgliedstaaten mussten sie in nationales Recht überführen, was Spielräume und Unterschiede ließ. Die GPSR ist eine Verordnung und gilt einheitlich in der gesamten EU. Sie präzisiert Erwartungen, weitet Pflichten auf alle Wirtschaftsakteure in der Lieferkette aus und stärkt die Marktüberwachung. Für Unternehmen reduziert das Rechtsunsicherheiten – und erhöht zugleich die Verantwortung.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Geltungsbereich im Alltag

Die GPSR erfasst in erster Linie Verbraucherprodukte, einschließlich Produkte mit digitalen Funktionen oder softwaregesteuerten Features. Entscheidend ist nicht nur die beabsichtigte, sondern auch die vernünftigerweise vorhersehbare Verwendung. Ein typisches Beispiel: Ein Werkzeug, das für die Werkstatt gedacht ist, aber erfahrungsgemäß in Heimwerkerumgebungen genutzt wird, kann in den GPSR-Bereich fallen. Produkte, die ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und nicht für Verbraucher zugänglich sind, verbleiben dagegen bei sektoralen B2B-Regelwerken.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Ausnahmen und ausgeschlossene Produktgruppen

Die GPSR tritt ein, wenn keine spezielleren EU-Rechtsakte greifen. Zahlreiche Produktgruppen sind aufgrund sektoraler Rechtsvorschriften oder ihres besonderen Charakters ausgenommen.

  1. Produkte mit eigenen sektoralen Vorschriften (inklusive spezieller Konformitätsbewertungs- und Kennzeichnungspflichten):
    • Maschinen (inkl. Maschinenverordnung 2023/1230)
    • Elektrische Betriebsmittel im Niederspannungsbereich
    • Produkte im Explosionsschutz (ATEX)
    • Druckgeräte (PED)
    • Spielzeug
    • Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV/EMC)
  2. Nicht für Verbraucher bestimmte Profigeräte (ausschließlich berufliche Nutzung, kein Zugang für Verbraucher):
    • Industrielle Produktionsanlagen, Spezialwerkzeuge und Ausrüstungen ausschließlich für den professionellen Einsatz
  3. Besonders regulierte Bereiche:
    • Lebensmittel und Futtermittel
    • Arzneimittel und Medizinprodukte
    • Materialien mit Lebensmittelkontakt
    • Pflanzenschutzmittel
  4. Produkte ohne funktionalen Nutzungszweck im Sicherheitskontext:
    • Antiquitäten und Sammlerstücke, die heutigen Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen
    • Lebende Pflanzen
    • Nebenprodukte tierischen Ursprungs

Praxisleitfaden: Fällt mein Produkt unter die GPSR oder in sektorale Vorschriften?

Nutzen Sie folgende Prüfschritte, um den Regulierungsrahmen sauber zu bestimmen und Umsetzungsschritte abzuleiten:

  • Schritt 1 – Sektorale Rechtsakte prüfen: Existiert eine einschlägige spezifische EU-Regel (z. B. Maschinen, Niederspannung, ATEX, PED, EMV, Spielzeug)? Wenn ja, greifen deren Anforderungen primär.
  • Schritt 2 – Zielgruppe und Zugänglichkeit: Ist das Produkt für Verbraucher bestimmt oder absehbar von ihnen nutzbar? Falls ja, greift die GPSR, sofern kein Spezialrecht Vorrang hat.
  • Schritt 3 – Digitale Funktionen bewerten: Verfügt das Produkt über Software, Konnektivität oder erhält es Updates? Digital bedingte Risiken gehören unter die GPSR-Pflichten.
  • Schritt 4 – GPSR-Pflichten ableiten: Risikobeurteilung, technische Dokumentation, klare Anleitungen/Warnhinweise in der Sprache des Nutzers, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit.
  • Schritt 5 – Post-Market-Prozesse etablieren: Reklamationswesen, Marktbeobachtung, Korrekturmaßnahmen und strukturierte Kommunikation mit Behörden.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Neue Pflichten für Hersteller, Importeure, Händler

Die GPSR schärft die Erwartungen an alle Wirtschaftsakteure. Viele Elemente erinnern an bekannte CE-Konformitätsprozesse – allerdings zugeschnitten auf das allgemeine Produktsicherheitsniveau für Verbraucherprodukte.

Ausnahmen und Schnittstellen zu sektoralen Regelwerken

Wo sektorale EU-Rechtsakte detaillierte Sicherheits- und Konformitätsanforderungen vorgeben, gelten diese vorrangig. Die GPSR ergänzt sie nicht, sondern springt ein, wenn kein spezielles Regelwerk existiert. Produkte für die ausschließliche berufliche Nutzung, die Verbraucher nicht erreichen, verbleiben in B2B-Regimen.

Technische Dokumentation: Inhalte und Tiefe

  • Risikobeurteilung: erfassbare Gefahren unter Normal- und Fehlanwendung, einschließlich vorhersehbarem Missbrauch; Bewertung und Maßnahmen zur Risikominderung.
  • Stand der Technik: aufgelistete Normen/Leitfäden, die zur Erfüllung der Sicherheitsanforderungen beitragen.
  • Konstruktion und Fertigung: wesentliche Auslegungsentscheidungen, Materialien, Prüfungen, Qualitätssicherung.
  • Begleitunterlagen: Nutzerinformationen, Warnhinweise, Kennzeichnung, Sprache des Zielmarkts.

Die Dokumentation richtet sich nach Komplexität und Risikoprofil. Für einfache Handwerkzeuge genügt eine schlanke Akte; bei vernetzten Produkten braucht es tiefergehende technische und organisatorische Nachweise, etwa zum Patch-Management.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Marktbeobachtung und Korrekturen

  • Beschwerde- und Vorfallsregister: systematisch erfassen, auswerten, klassifizieren.
  • Trendanalysen: wiederkehrende Fehlerbilder erkennen, Schwellenwerte für Korrekturmaßnahmen definieren.
  • Korrekturmaßnahmen: vom Hinweis an Kunden bis zur Rücknahme/Rückruf; Rollen und Entscheidungswege festlegen.

Diese Pflichten bestanden unter der GPSD zwar dem Grunde nach, sind nun jedoch klarer und verbindlicher operationalisiert. Unternehmen benötigen messbare Kriterien und dokumentierte Abläufe.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Rückverfolgbarkeit im Liefernetz

Die GPSR verlangt eine robuste Traceability. Unternehmen speichern Lieferketteninformationen – Hersteller, Zulieferer, Distributoren – mindestens sechs Jahre nach dem erstmaligen Bereitstellen. Damit können Behörden bei sicherheitsrelevanten Vorfällen Ursprung, Umfang und betroffene Chargen rasch ermitteln.

Nachweisführung, Aufbewahrungsfristen und Verfügbarkeit

  • Technische Dokumentation: mindestens zehn Jahre verfügbar halten.
  • Schnelle Bereitstellung: Unterlagen den Marktüberwachungsbehörden zügig und vollständig zur Verfügung stellen.
  • Importeure und Händler: sicherstellen, dass Hersteller die Dokumentation erstellt haben und die Produkte korrekt gekennzeichnet sind.

Erweiterte Verantwortung von Importeuren und Händlern

Importeure prüfen die Konformität, die Kennzeichnung und die Verfügbarkeit der Begleitunterlagen, bevor sie Produkte in der EU bereitstellen. Händler achten auf Unversehrtheit und Vollständigkeit der Verbraucherinformationen und dürfen keine Produkte vertreiben, die erkennbar unsicher sind.

Safety Gate statt RAPEX: Was ändert sich beim Marktüberwachungsalarm?

Safety Gate ersetzt das RAPEX-System als zentrale EU-Plattform für Warnmeldungen zu gefährlichen Non-Food-Verbraucherprodukten. Der Anspruch: schnellere, datengestützte, EU-weit einheitliche Reaktionen auf Sicherheitsrisiken – inklusive moderner Funktionen für digitale Produkte.

  1. Erweiterter Fokus: Neben klassischen physischen Risiken rücken softwarebedingte und vernetzte Gefahren stärker in den Blick.
  2. Technische Aufwertung: strukturiertere Meldungen, beschleunigte Datenanalyse, bessere Priorisierung.
  3. Transparenz: verbesserter öffentlicher Zugang zu Warnungen; erleichtertes Melden für Wirtschaftsakteure.
  4. Reaktionsgeschwindigkeit: raschere Koordination zwischen Mitgliedstaaten verkürzt die Zeit bis zu Rückrufen oder Vertriebsstopps.

Digitale Risiken: Cybersecurity, Software-Updates und psychische Gesundheit

Die GPSR fordert ausdrücklich, digitale Risiken mitzudenken. Dazu zählen Cyberangriffe, manipulierbare Funktionen, unsichere Konfigurationen und unbeabsichtigte Auswirkungen von Software-Updates. Ebenso relevant sind nutzungsbedingte Beeinträchtigungen, etwa Suchtgefahren oder psychische Belastungen bei bestimmten Produktkategorien.

  • Cybersecurity-by-Design: Härtungsmaßnahmen, sichere Update-Mechanismen, Schwachstellenmanagement.
  • Update-Politik: Bewertung jeder Softwareänderung auf Sicherheitsauswirkungen; transparente Nutzerinformation.
  • Nutzerwohl: Gestaltung, die Fehlanreize und übermäßige Belastungen minimiert (z. B. bei digitalen Spielzeugen oder Apps).

Umsetzung in der Organisation: Roadmap zur Compliance

  • Governance aufsetzen: Verantwortlichkeiten, Eskalationspfade, Schulungen für Entwicklung, Einkauf, Qualität und Service definieren.
  • Produktportfolio klassifizieren: Zuordnung zu GPSR oder sektoralen Regimen; Grenzfälle dokumentiert entscheiden.
  • Risikobeurteilung standardisieren: methodisch konsistent vorgehen, inklusive vorhersehbarer Fehlanwendung und digitaler Risiken.
  • Dokumentation konsolidieren: technische Akten, Nachweise, Prüfberichte, Normenlisten – strukturiert und auffindbar.
  • Post-Market-Prozesse etablieren: Beschwerdeerfassung, Trendanalyse, Korrekturmaßnahmen, Kommunikation mit Behörden und Kunden.
  • Traceability stärken: Lieferkettendaten für mindestens sechs Jahre sicher speichern; Serien-/Chargenmanagement nutzen.
  • Übersetzungen und Kennzeichnung: Nutzerinformationen in der Sprache des Zielmarkts bereitstellen; Warnhinweise klar und sichtbar ausführen.

GPSR-Verordnung vs. GPSD-Richtlinie – neue Regelungen zur allgemeinen Produktsicherheit: Checkliste und Best Practices

  • Abgrenzung klären: Greift sektorales Recht? Wenn nein und Konsumentennutzung ist vorgesehen oder vorhersehbar, gilt die GPSR.
  • Risiken ganzheitlich bewerten: physisch, chemisch, elektrisch, ergonomisch sowie digital und psychosozial.
  • Dokumentation proportional anlegen: Umfang und Tiefe am Risikoprofil ausrichten; Nachweise zehn Jahre vorhalten.
  • Marktbeobachtung aktiv leben: Beschwerden, Vorfälle und Rückrufe strukturiert managen; Lessons Learned in die Entwicklung zurückführen.
  • Lieferkette nachvollziehbar machen: Partner, Chargen und Flüsse mindestens sechs Jahre dokumentieren.
  • Rollen in der Lieferkette kennen: Hersteller, Importeur, Händler – jede Rolle bringt eigene Pflichten mit sich.
  • Safety Gate im Blick behalten: Warnmeldungen verfolgen und eigene Erkenntnisse konsequent einspeisen.

Fazit: Die GPSR liefert ein verlässliches Sicherheitsnetz für Verbraucherprodukte und beseitigt Brüche der früheren Richtlinienlandschaft. Unternehmen, die Risiken methodisch steuern, Dokumentation konsequent pflegen und ihre Marktprozesse modernisieren, erfüllen nicht nur die neuen Pflichten – sie erhöhen auch die Produktqualität und das Vertrauen der Kundschaft.

Oceń post