Die EU-Baumusterprüfung ist unter der Verordnung (EU) 2023/1230 eines der zentralen Verfahren, um nachzuweisen, dass eine Maschine alle einschlägigen Sicherheitsanforderungen erfüllt. Für bestimmte Maschinenkategorien wird sie verpflichtend. In vielen anderen Fällen beschleunigt sie die Konformitätsbewertung und reduziert Ihr Risiko, insbesondere wenn keine passenden harmonisierten Normen existieren oder Sie diese nur teilweise anwenden.
In diesem Leitfaden erklären wir, wann die EU-Baumusterprüfung greift, wie Sie sich effizient vorbereiten, welche Nachweise Benannte Stellen erwarten und wie Sie Normen sowie Prüfungen so kombinieren, dass Ihr Projekt planbar und rechtssicher bleibt.
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Was bedeutet EU-Baumusterprüfung nach Verordnung (EU) 2023/1230?
Die EU-Baumusterprüfung ist eine unabhängige Begutachtung Ihres technischen Lösungskonzepts – vom Entwurf bis zum Prototyp. Eine Benannte Stelle überprüft die Konstruktion, die Sicherheitsfunktionen und die zugehörige Dokumentation. Ziel ist ein offizielles Zertifikat, das bestätigt, dass das geprüfte Baumuster die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt.
Sie profitieren mehrfach: Das Zertifikat liefert starke, objektive Nachweise, reduziert Interpretationsspielräume gegenüber Behörden und Kunden und beschleunigt den Weg zur CE-Kennzeichnung, sofern Sie die Empfehlungen der Benannten Stelle konsequent umsetzen.
Wann ist die EU-Baumusterprüfung verpflichtend?
Die Verordnung unterscheidet Maschinen in Anhang I Teil A und Teil B. Bei Teil A verlangt der Gesetzgeber die Beteiligung einer Benannten Stelle. Bei Teil B können Sie die interne Fertigungskontrolle nutzen – aber nur, wenn Sie alle relevanten Sicherheitsaspekte vollständig mit harmonisierten Normen abdecken. Sobald Lücken bestehen, führt der sichere Weg wieder über eine EU-Baumusterprüfung.
Typische Szenarien in Anhang I Teil A und Teil B
- Teil A: Hochrisikomaschinen oder bestimmte Sicherheitsbauteile – hier ist die EU-Baumusterprüfung im Kern gesetzt.
- Teil B: Maschinen, die bei lückenlos angewendeten harmonisierten Normen ohne Benannte Stelle auskommen können; andernfalls empfiehlt sich die Drittprüfung.
- Innovative Lösungen: Fehlen passende Normen oder gehen Sie bewusst darüber hinaus, stärkt eine externe Prüfung die Argumentationsbasis.
Was passiert, wenn ich keine harmonisierten Normen anwende?
Harmonisierte Normen bieten eine „Vermutungswirkung” der Konformität. Verlassen Sie diesen Pfad, müssen Sie gleichwertige Sicherheit belegen – mit eigenen Spezifikationen, Prüfberichten, Berechnungen und Testnachweisen. Das erfordert Tiefe und Stringenz in der Argumentation. In der Praxis zieht das oft die EU-Baumusterprüfung nach sich, weil die Benannte Stelle Ihre Belege prüft und die Gleichwertigkeit gegenüber dem Stand der Technik bestätigt.
Wichtig: In der EU-Konformitätserklärung müssen Sie angeben, auf welche Spezifikationen, Prüfungen und Methoden Sie sich stützen. Je weniger Normen, desto stärker zählt die Qualität Ihrer Nachweise und die formale Validierung durch eine Benannte Stelle.
Vorbereitung auf die EU-Baumusterprüfung: Checkliste
Eine gute Vorbereitung verkürzt die Prüfzeit, vermeidet Rückfragen und senkt Kosten. Nutzen Sie die folgende Struktur, um Ihre Unterlagen prüffähig zu machen.
Technische Dokumentation: Inhalt und Tiefe
- Beschreibung der Maschine: Zweck, Grenzen des Systems, bestimmungsgemäße Verwendung, vorhersehbare Fehlanwendung, Schnittstellen.
- Risikobeurteilung: Systematische Gefährdungsanalyse über den gesamten Lebenszyklus nach etablierten Methoden (z. B. in Anlehnung an EN ISO 12100). Berücksichtigen Sie mechanische, elektrische, thermische und ergonomische Risiken sowie Software, KI-Funktionen und Cybersecurity-Aspekte.
- Konstruktionsunterlagen: Zeichnungen, Schaltpläne, Stücklisten, Sicherheitsfunktionen, Sicherheitsbauteile, Schutzmaßnahmen, Verriegelungen.
- Steuerungstechnik: Nachweise zu Performance Level (PL) bzw. Safety Integrity Level (SIL), inklusive Annahmen, Diagnoseabdeckung, MTTFd/Hardware-Architektur, Anforderungsraten und Berechnungsschemata.
- Prüfprotokolle: Vortests am Prototyp, Messberichte (z. B. Stoppzeiten, Kräfte, Temperaturen, Geräusch), Validierung sicherheitsrelevanter Software.
- Verwendete Spezifikationen: Liste angewandter harmonisierter Normen und – falls nötig – ergänzender Spezifikationen oder firmeneigener Standards.
Verfahren der Konformitätsbewertung: EU-Baumusterprüfung oder interne Fertigungskontrolle?
Prüfen Sie zunächst, ob Ihre Maschine in Anhang I Teil A fällt – dann führt kein Weg an der EU-Baumusterprüfung vorbei. Liegt sie in Teil B und decken Sie alle Risiken normativ sauber ab, genügt in vielen Fällen die interne Fertigungskontrolle. Fehlen Normen oder weichen Sie begründet ab, sichern Sie sich mit der EU-Baumusterprüfung ab.
Prototyp, Prüfungen und Messungen
- Stellen Sie eine repräsentative Maschine (Serienstand oder Prototyp mit Seriennähe) bereit.
- Planen Sie realistische Testfälle, die die Sicherheitsfunktionen abdecken: Not-Halt, Schutzeinrichtungen, Verriegelungen, Safe Motion, Parameter- und Zugriffsschutz.
- Dokumentieren Sie Messketten, Kalibrierstände und Unsicherheiten. Reproduzierbare Ergebnisse überzeugen schneller.
- Bereiten Sie Software- und Firmware-Stände nachvollziehbar auf – inklusive Änderungs- und Freigabehistorie.
Rolle harmonisierter Normen in der EU-Baumusterprüfung
Harmonisierte Normen bündeln bewährte Lösungen. Je konsistenter Sie sie anwenden, desto schneller können Sie Konformität zeigen. Die Benannte Stelle erkennt sofort, welche Anforderungen Sie wie abgedeckt haben. Wo Normen fehlen oder bewusst nicht passen, braucht es belastbare, nachvollziehbare Begründungen und äquivalente Sicherheitsnachweise.
- Typ-C-Normen: maschinenspezifische Anforderungen, oft mit klaren Prüfverfahren.
- Typ-B-Normen: übergreifende Themen wie elektrische Ausrüstung, Sicherheitsabstände, Geräuschemission, Steuerungssicherheit.
- Typ-A-Normen: Grundsätze der Risikobeurteilung und Risikominderung.
Kombinieren Sie Normen intelligent: Beginnen Sie auf A-Ebene, ergänzen Sie B-Themen und prüfen Sie, ob es eine passende C-Norm gibt. Kennzeichnen Sie in der Dokumentation deutlich, auf welche Klauseln Sie sich beziehen und mit welchen Nachweisen Sie die Erfüllung belegen.
Was ändert sich gegenüber der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG?
Die frühere Liste „besonders gefährlicher Maschinen” (ehemals Anhang IV) wich der Zweiteilung in Anhang I Teil A und Teil B. Für Teil A formuliert die Verordnung die Beteiligung der Benannten Stelle deutlich verbindlicher. Zudem erweitert sie den Blick auf digitale Risiken: Software, KI-Funktionen, Datenintegrität, Manipulationsschutz und Cybersecurity rücken stärker in den Fokus der Sicherheit, auch in der Risikobeurteilung und Validierung.
Für Hersteller bedeutet das: Sie brauchen robuste Prozesse für Software-Änderungen, Zugriffskonzepte, Diagnose und Dokumentation. Die EU-Baumusterprüfung deckt genau diese Punkte intensiver ab – und sorgt damit für belastbare Nachweise gegenüber Marktaufsichtsbehörden.
Externe Unterstützung: Wann sie sinnvoll ist
Nicht jedes Unternehmen hält Spezialwissen für alle Disziplinen vor. Externe Fachleute verkürzen die Time-to-Certificate und minimieren Schleifen mit der Benannten Stelle.
- Normen-Screening: Auswahl und lückenlose Anwendung relevanter A-, B- und C-Normen.
- Risikobeurteilung und Validierung: Methodik, Konsistenz, vollständige Nachweise.
- Funktionale Sicherheit: Berechnungen zu PL/SIL, Stoppzeiten, Diagnosedeckung, Architekturen.
- Software- und Cybersecurity-Nachweise: Entwicklungsprozesse, Testtiefe, Änderungsmanagement, Härtung.
- Dokumentenaufbereitung für die Benannte Stelle: prüfbare Struktur, eindeutige Verweise, klare Begründungen.
Häufige Fehler und wie du sie vermeidest
- Unklare Systemgrenzen: Definieren Sie Betriebsarten, Schnittstellen und Grenzen präzise – sonst bewerten Prüfer aneinander vorbei.
- Lücken in der Risikobeurteilung: Decken Sie alle Lebensphasen ab, inklusive Transport, Inbetriebnahme, Betrieb, Wartung, Störung, Reinigung, Außerbetriebnahme.
- Steuerungssicherheit zu spät betrachtet: PL/SIL-Architektur bereits im Konzept festlegen, nicht erst am Ende „hinrechnen”.
- Fehlende Messmethodik: Ohne reproduzierbare Stoppzeit- oder Kraftmessung verlieren Sie Zeit in Rückfragen.
- Ungepflegte Softwarestände: Versionen, Prüfstände, Freigaben und Rückverfolgbarkeit strikt führen.
- Normen „nach Gefühl”: Belegen Sie normenspezifische Anforderungen mit konkret referenzierten Nachweisen.
Nach der EU-Baumusterprüfung: CE-Kennzeichnung und laufende Compliance
Das Zertifikat der EU-Baumusterprüfung ist ein wesentlicher Baustein, aber nicht das Ende der Pflichten. Sie bringen die CE-Kennzeichnung an, erstellen die EU-Konformitätserklärung und halten die technische Dokumentation aktuell. Ändern Sie Konstruktion, Software oder Sicherheitsfunktionen, prüfen Sie die Auswirkungen auf das zertifizierte Baumuster. Bei wesentlichen Änderungen benötigen Sie zusätzliche Nachweise – gegebenenfalls eine erneute Bewertung durch die Benannte Stelle.
Planen Sie außerdem organisatorische Maßnahmen: Schulungen, Wartungs- und Prüfpläne, Ersatzteilmanagement, Änderungs- und Incident-Prozesse. So stellen Sie sicher, dass die im Zertifikat bestätigte Sicherheit im Betrieb erhalten bleibt.
Wichtigste Erkenntnisse zur EU-Baumusterprüfung
- Die EU-Baumusterprüfung liefert verlässliche, objektive Nachweise der Sicherheit und verkürzt Diskussionen mit Behörden und Kunden.
- Anhang I Teil A macht die Beteiligung einer Benannten Stelle in vielen Fällen verpflichtend; Teil B lässt Spielräume – aber nur bei vollständiger Normenanwendung.
- Harmonisierte Normen beschleunigen die Bewertung. Wenn Sie davon abweichen, brauchen Sie äquivalente, sauber dokumentierte Sicherheitsnachweise.
- Gute Vorbereitung zahlt sich aus: klare Systemgrenzen, vollständige Risikobeurteilung, belastbare PL/SIL-Nachweise, reproduzierbare Messungen und strukturierte Dokumente.
- Nach dem Zertifikat bleibt Compliance ein Dauerprozess – mit gepflegter Dokumentation, Schulungen und Kontrolle von Änderungen.
