STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt: Diese Frage begegnet jedem, der Antriebe plant, Maschinen modernisiert oder die Sicherheitsfunktion „Stoppen“ gemäß aktuellen Normen auslegt. Der Schlüssel liegt in der richtigen Auswahl der Stoppkategorie und der dazugehörigen Sicherheitsfunktion. In diesem Beitrag erklären wir präzise, wie STO, SS1 und SS2 arbeiten, wann Sie welche Funktion einsetzen und worauf Sie bei Auslegung, Parametrierung und Validierung achten – fundiert, praxisnah und ohne Umschweife.
Spis Treści
STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt: Einordnung und Zielsetzung
Bevor wir Details besprechen, definieren wir das Ziel: Wir wollen Gefährdungen durch Bewegungsenergie so reduzieren, dass Personen- und Anlagensicherheit gewährleistet bleibt – ohne den Prozess unnötig auszubremsen. Die Auswahl der Stoppfunktion folgt aus der Risikobeurteilung (z. B. nach EN ISO 12100) und den Anforderungen an den Performance Level bzw. SIL. Drei normativ verankerte Kategorien bilden den Rahmen und leiten direkt zu STO, SS1 und SS2 über.
Sicheres Stoppen in Kategorien: 0, 1 und 2 verstehen
Die Maschinen- und Antriebssicherheit unterscheidet drei grundlegende Stoppszenarien. Sie entscheiden damit, ob der Antrieb sofort spannungsfrei wird oder zunächst kontrolliert abbremst – und ob er nach dem Stopp unter Spannung bleibt.
- Kategorie 0 (entspricht STO): Sie schalten die Energie zum Motor sofort ab. Es erfolgt kein aktives Bremsen, die Mechanik läuft aus. Vorteil: maximale Schnelligkeit und höchste Einfachheit. Nachteil: unkontrollierter Auslauf und mögliche mechanische Belastung.
- Kategorie 1 (entspricht SS1): Der Antrieb bremst kontrolliert, erst danach wird der Moment sicher abgeschaltet (STO). Vorteil: schnelleres und mechanisch schonenderes Stillsetzen, definiertes Bremsverhalten.
- Kategorie 2 (entspricht SS2): Der Antrieb bremst kontrolliert und hält anschließend die Achse unter Spannung sicher im Stillstand (SOS – Safe Operating Stop). Vorteil: Position bleibt stabil, schneller Neustart ohne erneutes Freigeben der Leistung.
Für den Not-Halt schreibt die Praxis i. d. R. Kategorie 0 oder 1 vor (also STO oder SS1). Kategorie 2 (SS2) belässt den Antrieb unter Spannung und eignet sich daher nicht als E-Stop, sondern für kontrollierte Betriebsstopps und kurze Eingriffe.
Safe Torque Off (STO): sofortiger Momentenabwurf
STO ist die Basisfunktion: Der Antrieb kann keinen Drehmoment erzeugen, weil die Energiezufuhr zum Motor sicher abgeschaltet wurde (z. B. intern im Umrichter oder über sicherheitsgerichtete Abschaltpfade). Die Welle läuft nur noch aufgrund von Reibung und Prozesswiderständen aus. Das stoppt Gefährdungen durch ungewolltes Wiederanlaufen zuverlässig und erfüllt, je nach Umsetzung, hohe Sicherheitsanforderungen (typisch PL d/e oder SIL 2/3).
Beachten Sie: STO bremst nicht aktiv. Die Stillsetzzeit hängt von Trägheit, Prozess und Reibung ab. Bei kleinen Antrieben mit hohen Eigenwiderständen stoppt die Bewegung sehr schnell. Bei hohem Massenträgheitsmoment (z. B. Spindeln, große Rotoren) dreht das System deutlich länger aus. STO passt daher, wenn der Auslauf keine neue Gefährdung erzeugt und die Stillstandszeit akzeptabel bleibt.
Typische Ergänzung bei vertikalen Achsen oder hängenden Lasten: SBC (Safe Brake Control) – die sichere Ansteuerung eines mechanischen Haltebremsenkreises. Sie kombinieren STO, um den Moment abzuwerfen, und SBC, um das Gewicht mechanisch zu halten. So verhindern Sie, dass Lasten abdriften oder absacken.
Fazit zu STO: Minimaler Funktionsumfang, maximal robust. Verwenden Sie STO für schnellstmögliche Energieabschaltung und als Grundschutz vor unerwartetem Anlauf – und ergänzen Sie mechanische Maßnahmen, wenn Trägheit oder Gravitation das erfordern.
STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt beim Not-Halt
Im Notfall zählt, dass die Sicherheitsfunktion immer wirkt und Risiken sofort reduziert. Zwei Strategien haben sich etabliert:
- E-Stop Kategorie 0 (STO): energiearm, schnell, universell. Setzen Sie es ein, wenn ein kontrolliertes Bremsen keinen Sicherheitsgewinn bringt oder die Maschine ohnehin rasch ausläuft.
- E-Stop Kategorie 1 (SS1): Sie bremsen zunächst kontrolliert und schalten dann in STO. Das reduziert Stillsetzzeiten bei hoher Trägheit und schont die Mechanik. Legen Sie Grenzzeiten und Überwachung so aus, dass das System in jedem Fall in STO wechselt, falls der Bremsvorgang aus irgendeinem Grund scheitert.
SS2 gehört nicht zum Not-Halt. Es belässt die Achse unter Spannung und hält sie per SOS. Nutzen Sie SS2 für betriebliche Stopps, nicht für Notfälle.
Safe Stop 1 (SS1): kontrolliertes Bremsen bis zum Stillstand
SS1 setzt den Stopp in zwei Phasen um: Erst bremst der Antrieb kontrolliert, danach schaltet das System sicher auf STO (ggf. ergänzt um SBC zum formschlüssigen Halten). So verringern Sie Energie und Geschwindigkeit schnell, ohne die Mechanik zu überlasten. In der Praxis erreichen Sie häufig kürzere Stillstandzeiten als mit reinem Auslauf, weil der Antrieb aktiv Gegenmoment liefert.
Implementierungsvarianten orientieren sich an EN 61800‑5‑2: Bei SS1‑r überwacht der Antrieb Rampen- oder Geschwindigkeitsgrenzen und schaltet bei Erreichen des Kriteriums auf STO. Bei SS1‑t erfolgt die Umschaltung zeitgesteuert nach einem fest definierten Intervall. Wählen Sie SS1‑r, wenn Lasten, Reibung oder Prozesszustände variieren; wählen Sie SS1‑t, wenn die Stillsetzzeit stabil und gut vorhersagbar ist.
Typische Anwendungen: Sägen, Schleifmaschinen, Zentrifugen, Pressen und alle Antriebe mit hoher Rotationsenergie. Planen Sie die Bremsenergie: Der Umrichter braucht ausreichende Bremsfähigkeit (Bremschopper/‑widerstand oder rückspeisefähige Geräte). Prüfen Sie thermische Reserven und Fehlerreaktionen, damit die Sicherheitsfunktion auch bei warmem Gerät oder vollem Produktstrom zuverlässig greift.
Safe Stop 2 (SS2): Stopp mit gehaltenem Moment (SOS)
SS2 kombiniert das kontrollierte Bremsen mit einem sicheren Betriebsstillstand (SOS): Nach dem Abbremsen bleibt der Antrieb unter Spannung und hält die Position aktiv. Vorteil: Der Prozess startet anschließend ohne erneute Leistungsfreigabe sofort weiter. Das spart Sekunden bis Minuten pro Eingriff – bei taktzeitkritischen Anlagen ein greifbarer Produktivitätshebel.
Typische Szenarien: kurze Bedienereingriffe, Werkzeugwechsel, Reinigungs- oder Einstellarbeiten, Kalibrierung von Kameras oder Sensoren, kollaborierende Robotik in Halt‑Bereitschaft. Beachten Sie bei vertikalen Achsen Redundanz: Trotz SOS empfiehlt sich meist eine mechanische Bremse (SBC), damit die Last auch im Fehlerfall nicht absackt.
SS2 ist eine Betriebsfunktion – kein E‑Stop. Definieren Sie klare Freigabe- und Reset-Prozeduren, damit die Maschine nur dann wieder anläuft, wenn Schutzmaßnahmen und Schutzeinrichtungen wirksam sind.
STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt bei hoher Trägheit
Hohe Trägheit speichert viel kinetische Energie. STO allein führt dann oft zu langen Auslaufzeiten. SS1 wird hier zum Standard: Der Antrieb nimmt Energie aus dem System und bringt die Mechanik schnell und kontrolliert zum Stillstand, bevor STO greift.
Reicht SS1 immer? In der Regel ja – sofern Sie die restliche Physik im Griff behalten. Nach dem Umschalten in STO darf die Anlage nicht durch Gravitation oder externe Kräfte erneut in Bewegung geraten. Bei geneigten Förderern, vertikalen Achsen oder schweren Schlitten planen Sie zusätzlich eine mechanische Haltefunktion (SBC, Sperrklinken, Klemmen). SS2 kann eine Option sein, wenn Sie häufige Kurzstopps mit schnellem Wiederanlauf benötigen oder die Position zwingend aktiv gehalten werden muss. Mechanische Redundanz bleibt jedoch Best Practice.
Engineering-Checkliste für die Auswahl der Stoppfunktion
- Risiko ermitteln: Gefahren, Expositionsdauer, Schwere – leiten Sie daraus PL/SIL und Stoppkategorie ab.
- Bewegungsprofil verstehen: Trägheit, Lastfälle, Reibung, vertikale Achsen, Rücktreibmomente.
- Prozessanforderungen klären: Not-Halt vs. Betriebsstopp, geforderte Stillsetzzeit, Wiederanlaufzeiten.
- Antriebsarchitektur wählen: Umrichter/Servo mit zertifiziertem STO/SS1/SS2/SOS; SBC für mechanische Bremsen vorsehen.
- Energiepfad planen: Bremswiderstand oder Rückspeisung dimensionieren, thermische Limits prüfen.
- Überwachung definieren: SS1‑r (Geschwindigkeit/Rampe) oder SS1‑t (Zeit); Timeout auf STO als Rückfallebene.
- Diagnose & Reset: sichere Signale, Fehlerreaktionen, Quittierung; Wiederanlauf nur bei erfüllten Sicherheitsbedingungen.
- Validierung durchführen: Nachweis PL/SIL, Test der Stillsetzzeiten, Funktionsprüfungen im Worst‑Case.
STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt im laufenden Betrieb
In der Produktion zählt Verfügbarkeit. SS2 bietet hier Vorteile: Sie stoppen kontrolliert, halten die Position und fahren ohne erneute Leistungsfreigabe weiter. Das reduziert die Mean Time to Restart. Nutzen Sie SS2, wenn Bediener regelmäßig kurze Eingriffe ausführen oder wenn eine Achse ihre Lage exakt halten muss, um Qualitätsverluste zu vermeiden. SS1 bleibt die richtige Wahl, wenn Sie nach dem Stopp energiearm und spannungsfrei stehen wollen – etwa während längerer Unterbrechungen oder bei häufig wechselnden Rüstvorgängen.
Design-Tipps und typische Fehler
- „STO bremst schon irgendwie“ – Irrtum: STO deaktiviert den Moment, es bremst nicht. Planen Sie SS1, wenn die Stillsetzzeit kritisch ist.
- Bremsenergie unterschätzt: Dimensionieren Sie Bremswiderstände und Rückspeiser sauber. Prüfen Sie thermische Zyklen.
- Vertikale Achsen ohne Bremse: Ohne SBC oder mechanische Haltemittel riskieren Sie Absenken der Last.
- Nur Zeitüberwachung bei variabler Last: Verwenden Sie SS1‑r mit Geschwindigkeits-/Rampenmonitoring, wenn die Auslaufzeit schwankt.
- Fehlender Fallback: Definieren Sie immer eine sichere Umschaltung auf STO, wenn der Bremsweg oder die Bremszeit überschritten wird.
- Unklare Reset-Logik: Legen Sie eindeutige Freigabe-, Quittier- und Wiederanlaufbedingungen fest – besonders bei SS2.
STO, SS1 oder SS2 – wie man eine Maschine sicher stoppt: Fazit
Alle drei Funktionen haben ihren Platz: STO sorgt für den schnellen, robusten Momentenabwurf; SS1 liefert das kontrollierte Bremsen mit anschließender Energieabschaltung; SS2 hält die Maschine nach dem Bremsen sicher unter Spannung in Position und beschleunigt den Wiederanlauf. Entscheiden Sie nach Risiko, Prozess und Mechanik. Bei hoher Trägheit oder empfindlicher Mechanik punktet SS1. Bei hängenden Lasten kombinieren Sie STO/SS1 mit SBC. Wenn Taktzeit und Positionstreue im Vordergrund stehen, liefert SS2 den betriebspraktischen Vorteil. So stoppen Sie Maschinen sicher – ohne die Produktivität aus dem Blick zu verlieren.
SS1 bremst kontrolliert und endet in STO (Antrieb spannungsfrei). SS2 bremst ebenfalls kontrolliert, hält danach per SOS die Position unter Spannung – ideal für schnellen Wiederanlauf.
Ja. STO entspricht Kategorie 0: sofortiger Momentenabwurf, Auslauf bis Stillstand. Bei hoher Trägheit oder vertikalen Achsen ergänzen Sie SBC oder wählen SS1.
SS1‑t: zeitgesteuertes Umschalten auf STO – gut bei stabilen Stillsetzzeiten. SS1‑r: Überwachung von Geschwindigkeit/Rampe – besser bei variablen Lasten und wechselnden Prozesszuständen.
Nein. E‑Stop bedeutet Kategorie 0 oder 1 (STO oder SS1). SS2 entspricht Kategorie 2 und belässt den Antrieb unter Spannung (SOS) – es ist eine Betriebsfunktion, kein Not-Halt.
Kombinieren Sie die elektrische Funktion mit Mechanik: SBC für die Haltebremse, ggf. zusätzliche Sperren. SS2 hält aktiv, ersetzt aber keine mechanische Redundanz im Fehlerfall.
