Sicherheitsrelais – wie auswählen? Wer Maschinen baut, modernisiert oder validiert, braucht eine belastbare Antwort auf diese Frage. Der Markt bietet unzählige Varianten, die Normenlandschaft verlangt trennscharfe Entscheidungen und das Risiko jedes Anwendungsfalls unterscheidet sich. In diesem Leitfaden führst du die Auswahl strukturiert durch: von PL nach EN ISO 13849-1 über SIL nach EN 62061 bis zu MTTFd, DC und CCF, Testintervallen, fluidischen Lösungen und den regulatorischen Pflichten – kompakt, praxisnah und ohne Marketingnebel.
Spis Treści
Sicherheitsrelais – wie auswählen? Ausgangspunkt und Ziel
Definiere zu Beginn das Ziel der Sicherheitsfunktion: Welche Gefährdung reduzierst du, wie schnell muss der Stopp greifen, und welche Restgefahr akzeptierst du? Erst dann ergibt sich der erforderliche Performance Level (PL) oder Safety Integrity Level (SIL). Sicherheitsrelais bilden in kompakten Anwendungen oft das Herz der Sicherheitskette; in größeren Anlagen übernehmen sichere Steuerungen (PLC mit Safety) dieselbe Aufgabe. Wählst du ein Relais zu knapp oder falsch aus, riskierst du Unfälle, ungeplante Stillstände und Haftungsprobleme.
Warum Sicherheitsrelais im Maschinenbau entscheidend sind
Sicherheitsrelais werten Signale aus Not-Halt-Tastern, Schutztürschaltern, Zweihandbedienungen oder Lichtgittern aus und schalten im Fehler- oder Gefahrfall sicher ab. Sie realisieren Zwangsführung, Querschlussüberwachung, Start-/Restart-Logik und überwachen Rückführkreise. Diese Funktionen stellen sicher, dass einzelne Fehler nicht unbemerkt bleiben und dass die Sicherheitsfunktion schnell und zuverlässig reagiert. In der Praxis bedeutet das: du erhöhst die funktionale Sicherheit, vereinfachst die Validierung und reduzierst Integrationsaufwand.
Sicherheitsrelais – wie auswählen? PL nach EN ISO 13849-1 im Überblick
Die EN ISO 13849-1 beschreibt, wie du Sicherheitsfunktionen auf Basis des Performance Level (PL a bis PL e) auslegst. Du leitest den Ziel-PL aus der Risikobeurteilung ab und erreichst ihn über geeignete Architektur, Bauteilzuverlässigkeit und Diagnosen. Für geringe Risiken reichen oft PL a/b, für gravierende Gefährdungen brauchst du PL d/e.
Sicherheitsrelais – wie auswählen? Einfluss des PL auf die Architektur
Der Ziel-PL bestimmt die Architekturkategorie (B, 1, 2, 3, 4), die diagnostische Abdeckung (DC) und die Bauteilzuverlässigkeit (MTTFd). Höhere PL erfordern redundante Kanäle, wirksame Querschlusserkennung und einen geschlossenen Rückführkreis. Du kombinierst diese Faktoren so, dass dein Gesamtsystem den geforderten PL rechnerisch und praktisch erreicht.
Datenblatt-Check für Sicherheitsrelais – wie auswählen?
- MTTFd: Je höher der mittlere Zeitwert bis zum gefährlichen Ausfall, desto besser. Beurteile MTTFd stets zusammen mit DC und CCF – MTTFd allein genügt nicht.
- Diagnostische Abdeckung (DC): Gibt an, wie gut dein System gefährliche Fehler erkennt. Höhere DC-Werte erlauben höhere PL.
- CCF-Maßnahmen: Prüfe, ob das Relais und die Architektur Maßnahmen gegen gemeinsame Fehlerursachen enthalten (z. B. Umwelt, Versorgung, Verkabelung).
- Architektur/Redundanz: Zwei-kanalige Ausgänge, zwangsgeführte Kontakte und Querschlussüberwachung erleichtern PL d/e.
- Zertifikate und Konformität: Achte auf klare Angaben zur Eignung nach EN ISO 13849-1 und – falls relevant – EN 62061. Für Sicherheitskomponenten brauchst du eine EU-/EG-Konformitätserklärung gemäß Maschinenverordnung (EU) 2023/1230. Liegen die Betriebsspannungen im LVD-Bereich oder drohen Störaussendungen/ -festigkeitsthemen, müssen zusätzlich LVD und EMC erfüllt sein. Reine Pneumatik/Hydraulik ohne elektrische/elektronische Teile fällt typischerweise nicht unter LVD/EMC.
Merke dir: Relais, die PL e nachweisen, durchlaufen strengere Konstruktions- und Testanforderungen als Varianten für PL b/c. Plane die Lebensdauern der beteiligten Komponenten mit ein; werte deine Sicherheitsfunktion als Gesamtsystem.
EN 62061 und SIL: wann das SIL-Konzept passt
EN 62061 baut – wie die prozess- und anlagenspezifischen Normen nach IEC 61508 – auf dem Safety Integrity Level (SIL) auf. Viele Projekte verlangen explizit SIL 2 oder SIL 3, etwa bei höheren Risiken oder wenn Unternehmensstandards dies vorgeben. Auch Sicherheitsrelais können SIL-fähig zertifiziert sein. Du entscheidest dich für das SIL-Konzept, wenn die System- oder Kundenvorgaben dies verlangen oder wenn du ohnehin mit PFH-Werten rechnest.
Sicherheitsrelais – wie auswählen? Anforderungen für SIL 2 und SIL 3
- PFH-Grenzen verstehen: Für SIL 2 liegt die Probability of Failure per Hour typischerweise zwischen 10⁻⁶ und 10⁻⁷; für SIL 3 zwischen 10⁻⁷ und 10⁻⁸. Je kleiner der zulässige Wert, desto enger die Test- und Diagnoseanforderungen.
- Testintervalle planen: Praxisregeln verlangen für SIL 2 mindestens jährliche, für SIL 3 oft monatliche Prüfungen. Plane diese Tests in die Instandhaltungsstrategie ein – inklusive dokumentierter Belege.
- Architektur und systematische Eignung: Prüfe neben Hardwaremetriken auch die systematische Sicherheit (z. B. Entwicklung nach IEC 61508-Konzepten). Relais und das Gesamtdesign müssen die Ziel-SIL belegen.
In Projekten zählt nicht nur die Zertifizierung des Relais, sondern die Balance aus Architektur, Diagnosen, Testintervallen und dokumentierter Validierung. Nur so hält das System den Ziel-SIL über den gesamten Lebenszyklus.
Pneumatik und Hydraulik: PL/SIL in fluidischen Sicherheitsfunktionen
PL und SIL gelten nicht nur für elektrische Systeme. Auch fluidische Sicherheitsfunktionen – etwa zweikanalige Ventile zum sicheren Entlüften oder sichere Positionsüberwachung von Zylindern – kannst du nach EN ISO 13849-1 betrachten. Realistisch erreichst du in solchen Ketten typischerweise bis SIL 3 (bei Entsprechung zu PL e). Beachte, dass die Kombination mehrerer Komponenten in Reihe den Gesamt-PL senken kann: Drei Komponenten mit PLe in einer Serie ergeben systembedingt nicht zwingend PLe; konservative Annahmen und Summationseffekte können auf PLd führen. Plane Redundanzen und Diagnosen so, dass die Gesamtkette das gewünschte Niveau sicher trägt.
Sicherheitsrelais – wie auswählen? Schritt-für-Schritt-Vorgehen
Anforderungen definieren
- Lege fest, ob du nach EN ISO 13849-1 (PL) oder EN 62061 (SIL) auslegst – oder ob beide Betrachtungen sinnvoll sind.
- Bestimme Ziel-PL (a–e) oder Ziel-SIL (1–3) aus der Risikobeurteilung.
- Definiere Reaktionszeiten, notwendige Stillsetzarten, Wiederanlauf-Strategie (manuell/automatisch) und den Diagnoseumfang.
Risiko analysieren
- Für PL: Kategorie (B, 1, 2, 3, 4) festlegen, MTTFd der Kanäle, DC und CCF-Maßnahmen bestimmen.
- Für SIL: PFH berechnen/abschätzen, Architektur und systematische Eignung bewerten.
- Rahmenbedingungen erfassen: Umgebung (Temperatur, Vibration, EMV), Wartungsstrategie, erwartete Betätigungszyklen.
Zertifikate und Konformität prüfen
- Sicherheitskomponenten benötigen eine EU-/EG-Konformitätserklärung nach Maschinenverordnung (EU) 2023/1230.
- Prüfe zusätzlich die Relevanz von LVD (Niederspannung) und EMC (elektromagnetische Verträglichkeit).
- Vergleiche Zertifikatsangaben mit deinem Ziel-PL/SIL und der vorgesehenen Architektur.
Funktionen, Diagnose und Architektur bewerten
- Unterstützt das Relais die benötigte Anzahl sicherer Eingänge/Ausgänge, den geforderten Stopp-Typ und die Startlogik?
- Ermöglichen Rückführkreis und Querschlussüberwachung die geplante Kategorie/den Ziel-PL?
- Verfügst du über Diagnosemeldungen und Testmöglichkeiten, um PFH-/DC-Ziele realistisch zu erreichen?
- Planst du Modularität/Erweiterbarkeit für spätere Umbauten (z. B. zusätzliche Schutztüren oder Lichtgitter)?
Testen, validieren, dokumentieren
- Validiere die Sicherheitsfunktion gegen die Zielwerte (PL/SIL) mit Prüfungen und Berechnungen.
- Lege Testintervalle fest: mindestens jährlich für SIL 2, bis hin zu monatlich für SIL 3 – passend zur Anwendung.
- Dokumentiere Schaltpläne, Stücklisten, Parameter, Prüfergebnisse und die Risikobeurteilung nachvollziehbar.
Dieses strukturierte Vorgehen führt dich zu einem Sicherheitsrelais, das technisch passt, die Normen erfüllt und in Betrieb wie Wartung beherrschbar bleibt.
Häufige Fehler und Praxistipps aus Projekten
- Nur auf MTTFd schauen: Ohne DC und CCF erreichst du den Ziel-PL oft nicht. Prüfe die gesamte Kette, nicht nur das Relais.
- Zuwenig Redundanz: Einzelkanalige Konzepte bremsen PL d/e aus. Plane zweikanalig, wo das Risiko es verlangt.
- Fehlende Umweltbetrachtung: Temperatur, EMV, Verschmutzung und Vibration beeinträchtigen Zuverlässigkeit. Wähle Geräte mit passenden Umgebungsdaten.
- Unklare Restart-Strategie: Automatischer Wiederanlauf kann gefährlich sein. Definiere bewusst, wann manuell bestätigt werden muss.
- Testintervalle ignorieren: Ohne geplante Prüfungen erreichst du SIL-Ziele nicht über den Lebenszyklus. Verankere Tests in der Instandhaltung.
- Serienverschaltung überschätzt: Mehr PLe-Komponenten in Reihe ergeben nicht automatisch PLe. Rechne den Gesamteffekt konservativ.
Sicherheitsrelais – wie auswählen? Kompakte Beschaffungs-Checkliste
- Zielniveau festlegen: PL (a–e) oder SIL (1–3) – mit Risikobeurteilung belegt.
- Datenblatt prüfen: MTTFd, DC, CCF, Architektur, Kanalzahl, Rückführkreis, Querschlussüberwachung.
- Zertifikate verifizieren: Eignung nach EN ISO 13849-1 bzw. EN 62061, EU-/EG-Konformität, ggf. LVD/EMC.
- Funktion fit machen: Reaktionszeit, Stopp-Typ, Start-/Restart-Logik, Diagnosemöglichkeiten.
- Wartung planen: Testintervalle (SIL 2 jährlich, SIL 3 monatlich), Austauschzyklen, Ersatzteilkonzept.
- Dokumentation sichern: Schaltplan, Berechnungen, Validierungsprotokolle, Wartungs-Checklisten.
FAQ: Sicherheitsrelais – wie auswählen?
Ein Sicherheitsrelais übernimmt definierte Schutzfunktionen schnell und eigenständig – ideal für überschaubare Applikationen. Eine Safety-PLC skaliert breiter, verknüpft viele Signale, bietet tiefe Diagnose und flexible Logik. Bei wenigen Schutzelementen punktet das Relais mit Einfachheit und kurzer Reaktionszeit.
PL (EN ISO 13849-1) nutzt Kategorien, MTTFd, DC und CCF; SIL (EN 62061) arbeitet mit PFH-Grenzen und systematischer Eignung. Beide Wege führen zur geforderten Risikominderung. Wähle das Schema, das deine Normenlage, Unternehmensvorgaben und Tools unterstützen.
Nein. Ohne angemessene DC und CCF-Maßnahmen bleibt der erreichbare PL begrenzt. Hohe MTTFd-Werte helfen, doch erst das Zusammenspiel aus Architektur, Diagnosen und Maßnahmen gegen gemeinsame Fehlerursachen sichert PL d/e ab.
Konservative Annahmen zur Ausfallhäufigkeit und Abhängigkeiten addieren sich. In einer langen Kette wachsen systemische Risiken und unerkannte Fehler. Das kann den Gesamt-PL auf PLd absenken – trotz einzelner PLe-Komponenten.
Für SIL 2 planst du mindestens jährliche, für SIL 3 typischerweise monatliche Tests. Hintergrund sind die PFH-Bereiche: 10⁻⁶–10⁻⁷ (SIL 2) und 10⁻⁷–10⁻⁸ (SIL 3). Häufigere Tests verringern das Risiko unentdeckter gefährlicher Ausfälle.
