Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Diese Frage stellt sich immer dann, wenn sich die Gefährdungen einer Maschine nicht vollständig konstruktiv eliminieren lassen. Der Beitrag erklärt, was Sicherheitsmatten leisten, in welchen Fällen sie sinnvoll und zulässig sind, wie Sie die Positionierung normgerecht berechnen und welche Performance-Anforderungen (PL/SIL) die zugehörigen Sicherheitsfunktionen erfüllen müssen. Zusätzlich erhalten Sie praxisnahe Hinweise für Auslegung, Montage, Verdrahtung, Validierung und wiederkehrende Prüfungen – damit die Matte nicht nur formal passt, sondern im Ernstfall zuverlässig schützt.
Spis Treści
Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Grundlagen und Funktionsprinzip
Sicherheitsmatten sind druckempfindliche Schutzeinrichtungen, die das Betreten eines definierten Bodenbereichs erkennen. Man kann sie sich als großflächige, bodennahe Not-Halt-Taster vorstellen: Sobald eine Person die Matte belastet, verändert sich der elektrische Zustand und der Sicherheitskreis fordert das sichere Stillsetzen des gefährlichen Bewegungsablaufs.
Technisch bestehen Sicherheitsmatten üblicherweise aus zwei leitfähigen Ebenen, die eine isolierende Abstandsschicht trennt. Belastung bringt beide Ebenen leitend zusammen – der Kontakt schließt, das Sicherheitsrelais bzw. der Sicherheitscontroller wertet die Zustandsänderung aus und leitet die Sicherheitsfunktion ein (z. B. Stopp-Kategorie nach Maschinennorm). So entsteht eine virtuelle Detektionszone auf dem Boden: Wer sie betritt, löst die Schutzfunktion aus.
Ein vollständiges System umfasst die Matte(n), die sichere Logik (Sicherheitsrelais oder -steuerung), die Leistungselemente (z. B. zweikanalige Schütze, sichere Antriebsabschaltung) und eine geeignete Reset-Strategie. Erst das Zusammenspiel aller Komponenten erzeugt eine validierbare Sicherheitsfunktion.
Risikoanalyse nach ISO 12100: Wann machen Sicherheitsmatten Sinn?
Die ISO 12100 fordert, Risiken zunächst konstruktiv zu vermeiden. Wo das nicht gelingt, setzen Entwickler technische Schutzmaßnahmen ein: feste oder verriegelte trennende Schutzeinrichtungen, berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen, oder – als besondere Variante – Sicherheitsmatten. Matten lassen den Zugang physisch zu und stoppen bei Eintritt in die Zone. Damit bilden sie grundsätzlich eine späte Stufe in der Schutzstrategie: Sie verhindern nicht den Zutritt, sondern müssen so schnell reagieren, dass keine gefährliche Berührung mehr möglich ist.
Sie eignen sich dort, wo feste Einhausungen oder Lichtvorhänge den Prozess unzumutbar einschränken oder technisch nicht umsetzbar sind – etwa bei häufigen, notwendigen Eingriffen von oben oder bei großflächigen, variablen Zugängen. Auch als ergänzender Schutz gegen Umgehungswege (z. B. hinter einem Zaun entlang) leisten Matten gute Dienste. Entscheidend bleibt: Die Risikoanalyse muss belegen, dass man alle übergeordneten Maßnahmen ausgeschöpft hat und die Restgefahr ohne Matte nicht hinreichend reduziert ist.
Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Positionierung und Sicherheitsabstand nach ISO 13855
Die korrekte Positionierung ist das zentrale Konstruktionskriterium. Die Matte muss so weit vor der Gefahrenstelle liegen, dass die Maschine nach Auslösung sicher steht, bevor eine Person den Gefahrenpunkt erreichen kann. Grundlage bildet ISO 13855, die den Sicherheitsabstand S in Abhängigkeit von Annäherungsgeschwindigkeit und Reaktionszeiten definiert.
Für das Annähern zu Fuß gilt in der Regel K = 1600 mm/s. Der Sicherheitsabstand ergibt sich aus der Summe der Systemreaktionszeit T1 (Matte, Signalauswertung, Schaltelemente) und der Anhaltezeit T2 der Maschine, multipliziert mit K, zuzüglich eines normativ festgelegten Zuschlags. Bei bodennahen Matten ist die Detektionshöhe H≈0, der Zuschlag C ist entsprechend fix.
S = 1600 [mm/s] × (T1 + T2) + C
Je länger die Maschine ausläuft oder je träger die Sicherheitskette reagiert, desto größer muss S werden. Deshalb brauchen Konstrukteurinnen und Konstrukteure verifizierte Werte: T1 aus Datenblatt und Messung der Sicherheitslogik, T2 aus Messung des Anhaltewegs im schlechtesten Fall. Das Ergebnis zeigt, wie weit Sie die Matte vor der Gefahr platzieren müssen. Näher geht nicht – größer ist erlaubt, sofern dies die Bedienbarkeit zulässt.
Ermittlung der Zeiten T1 und T2
T1 umfasst die Sensorauslösezeit der Matte, die Verzögerung im Sicherheitsrelais oder -controller, sowie die Schaltzeiten der Leistungselemente. T2 ist die reale Brems- bzw. Auslaufzeit des Antriebs bis zum sicheren Stillstand. Messen Sie T2 an der Maschine, und berücksichtigen Sie den ungünstigsten Betriebszustand (höchste Geschwindigkeit, größte Trägheit, volle Last, ungünstige Temperatur). Dokumentieren Sie Messverfahren, Messmittel und Ergebnisse – diese Unterlagen gehören in die Technische Dokumentation.
Rechenbeispiel: Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein?
Beispiel: T1 = 40 ms (Matte + Auswertung + Schütze), T2 = 350 ms (Anhaltezeit). Dann ergibt sich S = 1600 × (0,040 + 0,350) + C = 1600 × 0,390 + C ≈ 624 mm + C. Setzen wir für C einen normativen Zuschlag für bodennahe Erkennung an, so erhalten wir den Mindestabstand. In der Praxis addieren Teams häufig eine Sicherheitsmarge (z. B. 10 %), um Messunsicherheiten abzudecken.
Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Anforderungen an PL und SIL
Eine Sicherheitsmatte allein garantiert noch keine ausreichende Zuverlässigkeit. Entscheidend ist der gesamte sicherheitsbezogene Steuerungskreis. ISO 13849-1 beschreibt den Performance Level (PL a–e), IEC 62061 den Safety Integrity Level (SIL 1–3). Die Risikoanalyse legt den erforderlichen Zielwert fest. Bei höheren Risiken sind PL d/e (bzw. SIL 2/3) üblich.
So erreichen Sie hohe PL-/SIL-Stufen: Nutzen Sie zweikanalige Mattenkreise, überwachen Sie Kurzschlüsse und Leitungsbrüche, setzen Sie diagnostikfähige Sicherheitsrelais oder -steuerungen ein, und wählen Sie passende Leistungselemente mit Rückführkreisüberwachung (EDM). Die Architektur muss Fehler wirksam erkennen und in den sicheren Zustand überführen. Nachweisgrößen wie MTTFd, DC und PFH bestimmen Sie mit den Herstellerdaten und dokumentieren den Nachweis – inklusive Validierung der Sicherheitsfunktion.
Typische Anwendungen und Grenzen von Sicherheitsmatten
Typische Einsatzorte sind Robotersysteme mit manuellem Teilehandling, Rundschalttische, Zuführungen, Verpackungs- und Palettierzellen, Pressenumfelder sowie Übergabestationen an Fördertechnik. Matten funktionieren flächig und detektieren aus jeder Richtung – ein Vorteil gegenüber punktuellen Tastern oder typabhängiger optischer Technik, die Sichtlinien erfordert.
Grenzen setzen Umgebungs- und Prozessbedingungen: schwere Flurförderzeuge, spitze Kanten, heiße Späne, starke Chemikalien, häufige Flüssigkeitsbelastung oder grobe mechanische Beanspruchung. Prüfen Sie Schutzprofile, Rampen, Abdeckungen und geeignete IP-Schutzarten. Achten Sie auf Mindest-Auslösekräfte und darauf, dass keine „Überbrückung“ durch Paletten, Bleche oder mitgeschleppte Teile entsteht. Verkehrswege mit Staplern sollten Matten grundsätzlich meiden oder mit tragfähigen Schutzbrücken gesichert sein – meist ist eine getrennte Verkehrsführung die bessere Wahl.
Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Auslegung und Verdrahtung in der Praxis
Die elektrische Einbindung erfolgt in der Regel zweikanalig. Viele Matten liefern zwei unabhängige sichere Kontakte, die ein Sicherheitsrelais zyklisch überwacht. Vermeiden Sie lange Reihenschaltungen vieler Matten ohne Diagnose, da dies die Fehlererkennung erschwert. Bilden Sie sinnvolle Zonen: separate Mattenzonen können Teilbereiche gezielt sicher stillsetzen, ohne die gesamte Anlage unnötig zu stoppen.
- Auslegung: Definieren Sie die Sicherheitsfunktion (SF) inklusive Ziel-PL/SIL, Stopp-Kategorie und Reset-Verhalten.
- Verdrahtung: Führen Sie beide Kanäle getrennt, vermeiden Sie gemeinsame Fehlerquellen, nutzen Sie geeignete Leitungen und Stecker mit Zugentlastung.
- EDM und Rückführung: Überwachen Sie die Rückmeldung der Schütze/Antriebe, um festgeklebte Kontakte sicher zu erkennen.
- Reset-Logik: Platzieren Sie den Quittiertaster außerhalb der Gefahrenzone mit guter Einsicht in den gefährlichen Bereich; verhindern Sie automatisches Wiederanlaufen.
- Diagnose: Visualisieren Sie Zustands- und Fehlermeldungen, damit das Personal Manipulationen vermeidet und Störungen schnell findet.
Zonenbildung und Teilabschaltung
Zonen erhöhen die Verfügbarkeit. Wenn eine Person eine der Matten betritt, schalten Sie nur die zugehörigen Antriebe sicher ab, sofern es die Risikobeurteilung erlaubt. Wichtig: Die Trennlinie zwischen Zonen darf keine Lücke im Schutzfeld erzeugen. Überlappungen oder abdeckende Profile verhindern „Sprungpfade“ zur Gefahr.
Reset-Strategie und EDM
Ein manueller, bewusster Reset nach Verlassen der Matte verhindert Wiederanlauf bei unbeabsichtigter Aktivierung. Die EDM (External Device Monitoring) prüft, ob die abschaltenden Schütze tatsächlich abgefallen sind. Erst wenn der sichere Zustand verifiziert ist, darf der Reset wirksam werden.
Mechanik, Montage und Umgebungsbedingungen
Eine fachgerechte Montage entscheidet über Lebensdauer und Schutzwirkung. Der Untergrund muss eben, tragfähig und frei von scharfkantigen Partikeln sein. Nutzen Sie Anfahrrampen und Eckprofile, um Stolperkanten zu vermeiden, und verlegen Sie Zuleitungen geschützt. Beachten Sie zulässige Temperaturen, Feuchte, IP-Schutzarten und chemische Beständigkeit. In dynamischen Zonen (z. B. an Drehtischen) sichern Sie die Matte gegen Schub- und Scherkräfte. Schützen Sie die Ränder gegen Hochklappen und vermeiden Sie Überfahrten durch Fahrzeuge – wenn unvermeidbar, setzen Sie spezielle Schwerlastlösungen ein.
Achten Sie auf lückenlose Abdeckung der Zugangspfade. Tote Zonen zwischen Matten, an Rampen oder vor Schutzzäunen dürfen nicht entstehen. Prüfen Sie mögliche Umgehungswege: Kann man über die Matte greifen, springen oder sie umgehen? Ergänzen Sie bei Bedarf durch trennende Schutzeinrichtungen, Abstandshalter oder zusätzliche Sensorik.
Inbetriebnahme, Validierung und wiederkehrende Prüfungen
Vor der Inbetriebnahme testen Sie die Sicherheitsfunktion umfassend: Auslöseverhalten, Reaktionszeit, Stopp-Wirkung, EDM, Reset, Fehlerdiagnose. Validieren Sie den Performance Level bzw. den SIL-Nachweis anhand der gewählten Norm. Halten Sie die Ergebnisse in einem Validierungsbericht fest, inklusive Messprotokollen für T2, Einstellparametern und Sicherheitsabständen.
Im Betrieb führen Sie regelmäßige Sicht- und Funktionsprüfungen durch. Definieren Sie Prüffristen nach Herstellerangaben und Risiko (z. B. täglicher Kurztest durch Bedienpersonal, periodische Inspektion durch Fachkundige). Dokumentieren Sie alle Befunde. Schulen Sie Mitarbeitende zur bestimmungsgemäßen Verwendung und weisen Sie auf die Konsequenzen von Manipulationen hin.
Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein? Häufige Fehler und rechtliche Folgen
- Falscher Abstand zur Gefahr: Ohne Berechnung nach ISO 13855 liegt die Matte oft zu nahe – die Maschine steht nicht rechtzeitig.
- Unzureichender PL/SIL: Einfache Verdrahtung ohne Diagnose erreicht den geforderten Zielwert nicht; einzelne Fehler bleiben unentdeckt.
- Ungünstige Reset-Position: Reset innerhalb der Gefahrenzone oder ohne Sicht auf den Bereich führt zu unkontrollierten Wiederanläufen.
- Mechanische Schwachstellen: Stolperkanten, lose Profile, beschädigte Kabel oder überfahrene Matten mindern die Schutzwirkung.
- Fehlende Validierung und Prüfungen: Ohne dokumentierten Nachweis fehlt die rechtliche und funktionale Sicherheit.
Die Folgen reichen von realen Sicherheitslücken bis zu rechtlichen Konsequenzen: Wer Normanforderungen missachtet, riskiert Nichtkonformität und damit das Infragestellen der CE-Konformität. Im Schadensfall drohen zivil- und strafrechtliche Schritte. Planen, berechnen, dokumentieren und prüfen Sie daher konsequent – und setzen Sie Sicherheitsmatten nur dort ein, wo die Risikoanalyse dies belegt.
FAQ: Sicherheitsmatten – wie setzt man sie ein?
Eine Person belastet die Matte, die Kontakte schließen zweikanalig, die Sicherheitslogik wertet das Signal aus und stoppt die gefährliche Bewegung sicher.
Bei offenen Zugängen mit notwendigem Personenzutritt: Robotzzellen, Zuführungen, Rundschalttische, Palettierbereiche, Übergaben an Fördertechnik.
Nach ISO 13855: S = K × (T1 + T2) + C. K ist meist 1600 mm/s. T1 ist die Systemreaktionszeit, T2 die Maschinen-Anhaltezeit. Beide Werte messen und dokumentieren.
Ja, mit zweikanaliger Architektur, Diagnose (Kurzschluss/Leitungsbruch), geeigneter Auswerteeinheit, EDM und passenden Leistungselementen – inklusive validiertem Nachweis.
In der Regel nein. Schwere Lasten beschädigen Matten. Führen Sie Verkehrswege außen herum oder verwenden Sie speziell freigegebene Schwerlastlösungen mit Schutzbrücken.
Täglicher Funktionstest durch Bediener, regelmäßige Sichtkontrollen und periodische Prüfungen durch Befähigte – Intervalle nach Risiko und Herstellerangaben festlegen.
