Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Normen, Risk Score, FMEA, HAZOP und Praxisbeispiele

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge bilden den Kern jeder professionellen Maschinensicherheit. Sie erfüllen nicht nur rechtliche Anforderungen, sondern reduzieren Unfälle, vermeiden Stillstände und stabilisieren Produktionsqualität. In diesem Leitfaden erfahren Sie, warum die Bewertung von Risiken strategisch wichtig ist, welche Normen den Rahmen setzen und wie Sie Schritt für Schritt vorgehen – von der Identifikation von Gefährdungen über Risk Matrix und Risk Scoring bis hin zu FMEA, HAZOP und dem Risk Graph. Abschließend zeigen wir, wie Sie Ergebnisse in Dokumentation und Schulungen überführen – praxisnah und prüfsicher.

  • Warum die Risikobewertung geschäftskritisch ist.
  • Relevante Normen und rechtliche Grundlagen.
  • Der Ablauf in fünf klaren Stufen.
  • Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Risk Matrix, Risk Scoring, Risk Graph, FMEA, HAZOP.
  • So verknüpfen Sie Ergebnisse mit Betriebsanleitungen und Schulungen.

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Warum sie in der Maschinensicherheit zählt

Viele Unternehmen sehen die Risikobewertung zunächst als Pflichtübung. Wer den Prozess jedoch konsequent aufsetzt, erzielt messbare Vorteile:

  1. Weniger Unfälle: Wer Gefährdungen systematisch identifiziert und wirksam reduziert, verhindert Verletzungen und Berufskrankheiten.
  2. Rechtssicherheit: Sie erfüllen gesetzliche Anforderungen und minimieren Haftungs- sowie Sanktionsrisiken.
  3. Höhere Effizienz: Stabilere Prozesse senken Ausfallzeiten und verbessern Termintreue sowie Qualität.
  4. Gelebte Sicherheitskultur: Transparente Risiken und klare Schutzmaßnahmen erhöhen die Regelkonformität im Alltag.

Behandeln Sie die Risikobewertung nicht als einmaliges Projekt. Jede Modifikation, neue Technologie oder Prozessänderung kann neue Gefahren erzeugen. Aktualisieren Sie daher Bewertungen, Audits und Schulungen kontinuierlich.

Rechtsrahmen und Normen für sichere Maschinen

In der EU verpflichtet die Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 Hersteller und Inverkehrbringer zur Durchführung einer Risikobeurteilung, zur Umsetzung geeigneter Schutzmaßnahmen und zur Dokumentation. Die Verordnung ersetzt die frühere Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Sie gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten.

Die zentrale Norm für die sichere Gestaltung von Maschinen ist die DIN EN ISO 12100. Sie beschreibt Terminologie, Vorgehen und die Rangfolge der Risikominderung. Ergänzend wichtig:

  • DIN EN ISO 13849-1 für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen.
  • EN 62061 (bzw. IEC 62061) für elektrische/elektronische Steuerungen.
  • DIN EN ISO 13850 zum Not-Halt.

Diese Normen greifen ineinander und bilden einen durchgängigen Rahmen für Konstruktion, Betrieb, Umbau und Modernisierung von Maschinen.

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Der 5‑Stufen-Prozess

1. Gefährdungen identifizieren

Erfassen Sie alle Gefährdungen entlang des Lebenszyklus: Inbetriebnahme, Normalbetrieb, Rüsten, Reinigung, Wartung, Störungssuche und Außerbetriebnahme. Typische Gruppen:

  • Mechanisch: bewegte Teile, rotierende Wellen, Greifer, Förderer.
  • Thermisch: heiße Oberflächen, Öfen, Heizelemente.
  • Elektrisch: Schaltschrank, Leitungen, statische Aufladung.
  • Chemisch: Leckagen, Dämpfe, Reinigungs- und Prozessmedien.
  • Strahlung: Laser, UV, Röntgen für Prüfprozesse.
  • Ergonomie: ungünstige Körperhaltung, Wiederholbelastungen, manuelles Heben.

Beziehen Sie Konstruktion, Produktion, Instandhaltung und Bediener ein. Die Praxisnähe der Mitarbeitenden deckt Gefahren auf, die man am Schreibtisch leicht übersieht.

Praxisbeispiel: In einer Kunststofffertigung transportieren Mitarbeitende regelmäßig Halbzeuge mit 180–200 °C. Die ursprüngliche Bewertung fokussierte ausschließlich die mechanische Gefahr an der Maschine. Nachträglich ergänzte der Betrieb thermische Risiken, führte Hitzeschutz sowie geeignete Handschuhe ein und senkte so die Verbrennungsgefahr signifikant.

2. Gefährdungen analysieren

Hinterfragen Sie für jede Gefährdung Ursachen, plausiblen Ablauf, mögliche Folgen und Vermeidbarkeit. Nutzen Sie Unfallstatistiken, Prüfberichte, Serviceerfahrungen und Erkenntnisse aus ähnlichen Anlagen.

Praxisbeispiel: In einer Verpackungslinie nutzten Bediener ungesicherte Messer, was zu häufigen Schnittverletzungen führte. Der Betrieb wechselte auf Messer mit zurückspringender Klinge und schulte sichere Schnitttechniken. Die Verletzungsquote sank deutlich.

3. Risiko abschätzen – Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge in Zahlen

Jetzt gewichten Sie jedes Risiko anhand Eintrittswahrscheinlichkeit, Schwere und Exposition. Häufig eingesetzt:

  • Risk Matrix: qualitative Einstufung (niedrig/ mittel/ hoch/ nicht akzeptabel) aus Kombination von Wahrscheinlichkeit und Auswirkung.
  • Risk Scoring: quantitative Punktzahl, z. B. Score = P × S × E, je 1–5.
  • Risk Graph: normkonforme Herleitung von PL oder SIL für Steuerungen.

4. Akzeptanzkriterien bewerten

Vergleichen Sie das Ergebnis mit Ihren betrieblichen Grenzwerten. Viele Unternehmen stufen Szenarien mit möglicher tödlicher Verletzung grundsätzlich als inakzeptabel ein, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit. Andere tolerieren geringes Rest­risiko unter klaren Bedingungen und Fristen.

Beispiel: Ein Druckbetrieb definiert Score > 50 als inakzeptabel (sofortige Maßnahmen) und 30–50 als bedingt tolerierbar (Plan zur Reduktion bis Ende des Quartals).

5. Maßnahmen auswählen und wirksam umsetzen

Folgen Sie der Hierarchie nach DIN EN ISO 12100:

  1. Inhärent sichere Konstruktion: Gefährdungen durch Auslegung eliminieren oder minimieren (geringere Geschwindigkeiten, reduzierte Kräfte, sichere Abstände, Kleinspannung).
  2. Technische Schutzmaßnahmen: feste/ verriegelte Schutzeinrichtungen, Lichtgitter, Not-Halt, Zuhaltungen, Sensorik.
  3. Organisatorische/ persönliche Maßnahmen: Arbeitsanweisungen, Schulungen, PSA.

Praxisbeispiel: Eine Abkantpresse erhielt automatisch verriegelte Schutzhauben. Die Maschine fährt nicht an, solange die Haube geöffnet ist. Das Risiko „Quetschen der Hände“ sank von „hoch“ auf „niedrig“; der Score fiel beispielsweise von 64 auf 16.

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge im Überblick

1) Risk Matrix – Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge für den Einstieg

Einsatz: schnelle, visuelle Priorisierung. Vorgehen: Sie definieren Kategorien für Wahrscheinlichkeit (z. B. A–E) und Auswirkung (z. B. 1–4) und lesen den Risikograd in der Matrix ab. Vorteil: sehr anschaulich. Nachteil: abhängig von subjektiven Kategorien.

Beispiel: Hand in der Schneidzone führt zu schwerer Verletzung; Wahrscheinlichkeit „moderat“, Auswirkung „ernst“. Ergebnis: hohes Risiko – sofort Absicherung mit Schutzeinrichtungen/ Verriegelungen.

2) Risk Scoring – Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge mit Punktesystem

Einsatz: detaillierte, vergleichbare Bewertung in Zahlen. Vorgehen: Score = P (Probability) × S (Severity) × E (Exposure), je 1–5. Definieren Sie betriebliche Schwellen, z. B. 1–20 niedrig, 21–60 mittel, >60 hoch.

Beispiel: Gefahr „Verbrennung an heißem Bauteil“: P = 3, S = 4, E = 3. Score = 36 → mittleres Risiko → zusätzliche Abschirmung/ PSA/ organisatorische Maßnahmen einplanen.

3) Risk Graph – Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge für Steuerungen

Einsatz: Bestimmung des erforderlichen Performance Level (PL) oder Safety Integrity Level (SIL). Vorgehen: entlang eines Entscheidungsdiagramms Schwere (S), Häufigkeit/ Dauer der Exposition (F), Möglichkeit der Vermeidung (P) und Wahrscheinlichkeit des Auftretens (W) bewerten. Ergebnis: geforderte Kategorie/ PL bzw. SIL für die Sicherheitsfunktion.

4) FMEA: Fehlerarten und -auswirkungen

Einsatz: Bauteil- und Funktionsanalyse mit Fokus auf potenzielle Ausfallarten und Folgen. Vorgehen: Schwere (S), Auftreten (O) und Entdeckbarkeit (D) bewerten → RPN (Risk Priority Number) priorisiert Handlungsbedarf. Stärken: systematisch, designnah. Grenzen: Aufwand, Datenqualität.

5) HAZOP: Abweichungen im Prozess systematisch prüfen

Einsatz: verfahrenstechnische Prozesse, in denen Parameter wie Druck, Temperatur oder Durchfluss in Grenzen bleiben müssen. Vorgehen: interdisziplinäres Team diskutiert Leitworte (zu hoch/ zu niedrig/ kein/ umgekehrt/ verzögert), bewertet Ursachen, Folgen und Schutzmaßnahmen.

Dokumentation und Schulung als Ergebnis der Bewertung

Die beste Risikobewertung wirkt nur, wenn Sie Ergebnisse in klare Dokumente und Trainings überführen. Eine vollständige Betriebsanleitung enthält u. a.:

  • Beschreibung relevanter Gefährdungen und Restrisiken.
  • Erklärung eingesetzter Schutzmaßnahmen (Schutzeinrichtungen, Not-Halt, Warnhinweise).
  • Verfahren für sichere Bedienung, Reinigung, Rüsten und Instandhaltung.
  • Vorgaben für persönliche Schutzausrüstung.

Ergänzen Sie das durch zielgruppengerechte Schulungen: Onboarding für neue Mitarbeitende, Auffrischung bei Änderungen, Praxisworkshops zu Not-Halt, LOTO, Signalen und PSA. So stellen Sie sicher, dass Menschen Maßnahmen verstehen und konsequent anwenden.

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Praxisbeispiel Formatkreissäge

Ausgangslage

Ein Möbelbetrieb beschafft eine Formatkreissäge. Der Inhaber führt gemeinsam mit Fachkraft für Arbeitssicherheit und einem erfahrenen Bediener die Risikobewertung ein – inkl. Risk Scoring.

  1. Gefährdungen: Handkontakt mit dem Sägeblatt; Rückschlag des Werkstücks; Holzstaub (Atemwege); elektrischer Schlag bei beschädigtem Kabel.
  2. Analyse: Bediener greift bei schmalen Zuschnitten nahe an das Blatt; Absaugung unzureichend; Elektroinstallation seit Langem nicht geprüft.

Bewertung mit Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge

  • Schnittverletzung/ Amputation: P = 4, S = 5, E = 4 → Score = 80 (sehr hoch).
  • Rückschlag: P = 2, S = 3, E = 3 → Score = 18 (mittel).
  • Holzstaub: P = 3, S = 2, E = 4 → Score = 24 (mittel).

Akzeptanz: Der Betrieb definiert Score > 50 als inakzeptabel. Priorität erhält die Handverletzung.

Technische und organisatorische Maßnahmen

  • Verriegelte Schutzhaube über dem Blatt; Start nur bei geschlossener Haube.
  • Pusher/Andrückhilfen und Führungen, um die Hände auf Distanz zu halten.
  • Leistungsfähige Absaugung; Tragepflicht geeigneter Masken; Sichtprüfung der Elektroinstallation und Instandhaltung.

Nachbewertung und Lessons Learned

Ergebnis: Schnittverletzung nach Maßnahmen P = 2, S = 5, E = 3 → Score = 30 (mittel, akzeptabel mit Anweisung und Überwachung). Der Betrieb dokumentiert Änderungen in der Anleitung und schult die Belegschaft praktisch an der Maschine.

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge: Best Practices und häufige Fehler

Best Practices für Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge

  1. Interdisziplinär arbeiten: Konstruktion, Bedienung, Instandhaltung und HSE/SiFa gemeinsam bewerten.
  2. Regelmäßig aktualisieren: Jede Prozess- oder Maschinenänderung sofort nachziehen.
  3. Transparent dokumentieren: Ergebnisse verständlich, nachvollziehbar und revisionssicher festhalten.
  4. Praxis trainieren: Einmalige Unterweisung reicht nicht; üben Sie Notfall- und LOTO-Szenarien regelmäßig.
  5. Rangfolge beachten: Erst konstruktiv eliminieren, dann technisch schützen, zuletzt organisatorisch absichern.

Häufige Fehler in der Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge

  1. Formalismus: Vorlagen kopieren, ohne die spezifischen Gefährdungen der Anlage zu prüfen.
  2. Falsche Annahmen: Wahrscheinlichkeit und Exposition zu optimistisch einschätzen.
  3. Praxiswissen ignorieren: Improvisationen am Arbeitsplatz übersehen, die neue Gefahren erzeugen.
  4. Schutzmaßnahmen nicht betreiben: Verriegelungen werden umgangen, wenn sie Arbeit behindern. Usability zählt.
  5. Keine Re-Assessment nach Vorfällen: Jeder Unfall verlangt einen erneuten, kritischen Blick auf Annahmen und Maßnahmen.

Fazit: Von der Analyse zur sicheren, effizienten Produktion

Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge liefern Ihnen ein robustes Fundament für Sicherheit, Qualität und Effizienz. Die Normen DIN EN ISO 12100, DIN EN ISO 13849-1, DIN EN ISO 13850 und EN 62061 geben den Rahmen vor – welche Methode Sie einsetzen, hängt von Komplexität und Zielsetzung ab. Wichtig bleibt: interdisziplinär arbeiten, konsequent dokumentieren, regelmäßig trainieren und die Wirksamkeit der Maßnahmen messen. So schaffen Sie eine verlässliche, rechtskonforme und wettbewerbsfähige Produktion.

FAQ: Risikobewertung

Was umfasst „Risikobewertung – Methoden und Werkzeuge“ konkret?

Der Begriff umfasst den strukturierten Prozess von der Gefährdungsidentifikation über Analyse und Bewertung bis zur Auswahl, Umsetzung und Wirksamkeitskontrolle von Maßnahmen. Dazu zählen u. a. Risk Matrix, Risk Scoring, Risk Graph, FMEA und HAZOP.

Welche Normen sind für die Risikobeurteilung von Maschinen relevant?

Zentral ist die DIN EN ISO 12100. Für Steuerungen kommen DIN EN ISO 13849-1 und EN 62061 hinzu; für Not-Halt die DIN EN ISO 13850. Rechtlich gilt die Maschinenverordnung (EU) 2023/1230.

Wie oft sollte ich die Risikobewertung aktualisieren?

Immer bei Änderungen an Maschine, Prozess oder Software sowie nach Vorfällen. Empfehlenswert sind zusätzlich periodische Reviews, etwa jährlich oder bei Turnaround/Revision.

Was bringt das Risk-Scoring gegenüber der Matrix?

Das Punktesystem liefert eine nachvollziehbare Zahl und erleichtert Priorisierung und Vergleich zwischen Risiken. Voraussetzung: klar definierte Skalen und konsistente Anwendung im Unternehmen.

Wie lege ich Akzeptanzkriterien fest?

Definieren Sie betriebsweit Verständliches: z. B. Score-Grenzen, No-Go für Szenarien mit potenziell tödlichen Folgen, Fristen für mittlere Risiken. Binden Sie HSE, Technik und Management ein.

Wer trägt die Verantwortung für die Risikobewertung?

Für neue Maschinen liegt die Hauptverantwortung beim Hersteller bzw. Inverkehrbringer. Im Betrieb verantwortet die Unternehmensleitung die Aktualisierung; fachlich wirken Konstruktion, Produktion, Instandhaltung und HSE/SiFa mit.

Oceń post