Die Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850 bildet die letzte Verteidigungslinie, wenn an einer Maschine Gefahr droht. Sie ermöglicht das absichtliche, schnelle Stoppen von gefahrbringenden Bewegungen, um Schäden an Menschen und Anlagen zu begrenzen. Dieser Leitfaden zeigt, wie Sie die Funktion korrekt auslegen, wo Sie Betätiger sinnvoll positionieren, wie Sie Zonen (span of control) definieren und welche Bauformen, elektrischen Architekturen sowie Betriebsprozesse (Reset, Wiederanlauf) die Norm fordert.
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Was leistet die Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850?
Ein Not-Halt dient dazu, einen erkannten oder unmittelbar drohenden gefährlichen Zustand durch bewusstes Eingreifen einer Person schnellstmöglich zu entschärfen. Er stoppt gefahrbringende Bewegungen und reduziert Folgeschäden – er verhindert aber nicht die Entstehung der Gefahr an der Quelle. Deshalb integrieren Sie Not-Halt immer als ergänzenden Schutz und nicht als Ersatz für primäre Schutzmaßnahmen wie trennende Schutzeinrichtungen, Verriegelungen, Zweihandsteuerungen oder sichere Geschwindigkeitsüberwachung.
Typische Auslöser sind das Erfassen eines Klemmpunkts, ungewöhnliche Geräusche/Vibrationen, das Abrutschen eines Werkstücks, eine Kollision in der Bearbeitung oder der Zutritt in eine Gefahrzone. Menschen lösen den Not-Halt bewusst aus – er arbeitet nicht automatisch. Das unterscheidet ihn von sensorbasierten Sicherheitsfunktionen, die ohne menschliche Handlung ansprechen.
Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850 im Sicherheitskonzept: Ergänzung, nicht Ersatz
Die EN ISO 13850 sieht den Not-Halt als ergänzenden Schutz. Er ersetzt keine konstruktive Risikominderung und keine Schutzeinrichtungen. Konzipieren Sie Maschinen daher so, dass primäre Maßnahmen die Gefahr an der Quelle möglichst ausschalten oder abschirmen. Der Not-Halt greift erst, wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen oder eine unerwartete Situation eine manuelle Intervention erfordert.
Wichtig: Der Not-Halt dient nicht als Mittel gegen unerwarteten Anlauf. Für das sichere Stillsetzen und das Verhindern des Wiederanlaufs während Eingriffen verwenden Sie Energie-Isolierung und Verriegelung (LOTO) sowie den Hauptschalter. Ein eingedrückter Pilztaster ersetzt keinen allpoligen Hauptschalter und keine Sekundärsicherungen gegen Wiedereinschalten.
Wann ist eine Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850 erforderlich?
Ob eine Maschine mindestens einen Not-Halt benötigt, leiten Sie aus der Risikobeurteilung ab. In der Praxis fordert das Regelwerk (u. a. Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 und harmonisierte Normen) in fast allen Fällen ein Not-Halt-System, sobald im Betrieb Gefährdungen entstehen können. Ausnahmen betreffen beispielsweise tragbare Handmaschinen oder Fälle, in denen ein Not-Halt die Gefahr nicht schneller oder wirksamer beeinflussen könnte (z. B. wenn die Stoppzeit unvermeidbar bleibt und ein Not-Halt keinen zusätzlichen Nutzen brächte).
Richten Sie die Anzahl der Betätiger an den Bedienplätzen und den Gefahrenbereichen aus. An jedem festen Bedienplatz gehört mindestens ein Betätiger. Ergänzen Sie weitere Betätiger in Bereichen, in denen Personen Gefahren erkennen und schnell eingreifen müssen, ohne selbst in die Gefahrzone zu greifen.
Kategorien des Stopps: 0, 1 und 2 richtig auswählen
Für die Not-Halt-Funktion erlaubt die EN ISO 13850 ausschließlich Stop-Kategorie 0 oder 1. Kategorie 2 ist für Not-Halt nicht zulässig, weil sie die Energieversorgung aufrechterhält.
- Stopp-Kategorie 0: Unmittelbares Abschalten der Energie zu den Antrieben (z. B. trennen der Motorversorgung). Das System kommt ohne kontrollierte Verzögerung zum Stillstand. Nutzen Sie Kategorie 0, wenn ein sofortiges Abschalten keine zusätzlichen Gefährdungen erzeugt.
- Stopp-Kategorie 1: Kontrolliertes Abbremsen mit dem Steuerungssystem und anschließendem Abschalten der Antriebsenergie. Wählen Sie Kategorie 1, wenn ein kontrollierter Auslauf sicherer ist (z. B. um Kollisionen oder mechanische Schäden zu verhindern).
Legen Sie die Kategorie anhand der Risikobeurteilung fest. Berücksichtigen Sie Nachlaufzeiten, Bremsvermögen, mögliche Sekundärgefahren beim Abschalten sowie die Stabilität des Prozesses während des Abbremsens.
Anordnung und Ergonomie der Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850
Eine Not-Halt-Funktion wirkt nur, wenn der Betätiger sofort erreichbar ist. Positionieren Sie Betätiger an allen festen Bedienplätzen sowie entlang von Gefährdungsbereichen und Wegen, an denen Personen die Gefahr erkennen. Bringen Sie keine Betätiger so an, dass Personen die Gefahrzone betreten müssen, um sie zu erreichen.
Montagehöhen und Erreichbarkeit in der Praxis
Für handbetätigte Not-Halt-Befehlsgeräte haben sich Montagehöhen zwischen 0,6 m und 1,7 m über Standfläche bewährt. So treffen Personen unterschiedlicher Körpergröße den Pilztaster mit offener Hand oder Unterarm mühelos. Fuß-Not-Halt ordnen Sie bodennah und standsicher an. Halten Sie Wege frei, markieren Sie Betätiger eindeutig und vermeiden Sie Verwechslungen mit Start-/Quittiertasten.
Zonenbildung der Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850 (span of control)
Bei großen Anlagen müssen Sie nicht zwingend die gesamte Maschine stoppen, wenn eine Person einen Betätiger auslöst. Die Norm erlaubt eine Zonenbildung: Jeder Betätiger beeinflusst eine klar definierte Teilanlage. Diese Lösung reduziert Sekundärgefahren und vermeidet unnötige Produktionsverluste – vorausgesetzt, die Risikobeurteilung bestätigt, dass ein Teil-Stopp sicher bleibt.
Definieren und kennzeichnen Sie die Zonen unmissverständlich direkt an der Maschine, z. B. über Piktogramme in der Nähe des Betätigers. Personen müssen auf einen Blick erkennen, welche Anlagenteile ein bestimmter Not-Halt stillsetzt. Planen Sie bewusst überlappende Zonen, wenn mehrere Bediener an einer Schnittstelle arbeiten. Die Regel lautet: Wer den nächstgelegenen Not-Halt betätigt, verbessert die Situation – nie umgekehrt.
Bauformen der Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850
Wählen Sie die Bauform passend zur Maschine. Alle Varianten erfüllen dieselbe Funktion, unterscheiden sich aber in Ergonomie und Reichweite.
Pilztaster (E‑Stop)
Der klassische rote Pilztaster auf gelbem Hintergrund mit Rastmechanik (mechanisch gehalten) eignet sich für Bedienpulte, Einlegestellen, Schutzgitter und Säulen. Er verträgt kräftige Schläge und lässt sich taktil klar erkennen. Standardmäßig arbeiten Sicherheitskontakte als Öffner (NC), die beim Eindrücken öffnen und den Stopp anstoßen. Entriegeln Sie den Taster durch Drehung oder Zug – erst danach kann ein kontrollierter Wiederanlauf erfolgen.
Zugseil- und Reißleinen-Systeme
Entlang langer Transportstrecken, Förderbänder oder Bearbeitungslinien setzen Sie Zugseile ein. Das Seil spannt zwischen Endschaltern; ein Zug an beliebiger Stelle löst Not-Halt aus. Viele Geräte überwachen die Seilspannung: Ein Riss oder zu große Lockerung führt ebenfalls zum Stopp. Kombinieren Sie am Endgerät häufig einen Pilztaster als zusätzliche, lokale Auslöseoption.
Fuß-Not-Halt
Wenn Bediener die Hände am Werkstück lassen müssen, erlaubt ein Fuß-Not-Halt die Auslösung per Tritt. Eine Schutzhaube verhindert Fehlbetätigungen. Montieren Sie den Fußschalter rutschfest und dauerhaft, damit Personen ihn intuitiv treffen.
Bumperleisten, Stangen und Griffe
Lange Bumperleisten an bewegten Fronten oder Schutzeinrichtungen erlauben die Auslösung durch Körperkontakt. Stangen- oder Griffauslöser funktionieren ähnlich (ziehen/drücken). Wichtig bleibt die mechanische Haltefunktion mit manueller Entriegelung, damit die Anlage nicht unbeabsichtigt wieder anläuft.
Not-Halt auf mobilen Bedieneinheiten
Handbediengeräte, Hängeterminals oder Funkbedienungen erhalten ebenfalls einen Not-Halt. Achten Sie auf eine hochverfügbare, sicherheitsgerichtete Kommunikation (zwei Kanäle, sichere Telegramme), damit der Befehl jederzeit sicher ankommt. Mobile Betätiger ergänzen, aber ersetzen keine stationären.
Sichere Architektur der Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850
Auch wenn die Not-Halt-Funktion als ergänzender Schutz gilt, muss die Realisierung über sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen erfolgen. Leiten Sie den erforderlichen Performance Level (PLr) aus der Risikobeurteilung ab und erfüllen Sie ihn nach EN ISO 13849‑1 oder alternativ nach IEC 62061. In der Praxis führen viele Anwendungen zu PLr d oder e, abhängig von Gefährdungsschwere, Häufigkeit und Vermeidbarkeit.
Wichtige Architekturprinzipien:
- Zweikanalige Ausführung der Not-Halt-Kreise mit Öffnerkontakten (NC) und Überwachung auf Querschlüsse/Unterbrechungen.
- Verwendung von Sicherheitsrelais oder Sicherheits-SPS mit Diagnose und Fehlererkennung.
- Manuelle Entriegelung des Betätigers und separater, bewusster Reset der Sicherheitsfunktion (z. B. Taster „Quittieren“) außerhalb der Gefahrzone.
- Vermeidung von Manipulationen (z. B. Verriegeln des Betätigers, eindeutige Kennzeichnung, keine übermäßige Bündelung heterogener Funktionen auf einem Bedienelement).
- Dokumentierte Nachlaufmessungen (Stoppzeiten) und passende Bremsstrategien für Stopp-Kategorie 1.
Bei Zonen (span of control) weisen Sie jedem Betätiger die richtigen Aktoren zu. Die Sicherheitssteuerung muss klar zwischen Zonen unterscheiden, überlappende Bereiche korrekt stillsetzen und Folgevorgänge (z. B. Materialfluss) sicher behandeln.
Rücksetzung, Wiederanlauf und LOTO bei der Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850
Nach dem Auslösen bleibt der Betätiger mechanisch gehalten. Personen beseitigen zuerst die Gefahr, entriegeln dann den Betätiger und führen anschließend eine bewusste Rücksetzung der Sicherheitssteuerung durch. Ein automatischer Wiederanlauf ist unzulässig; die Maschine darf nur nach einer gesonderten, absichtlichen Startaktion anlaufen.
Für Instandhaltung, Reinigung oder Störungsbeseitigung isolieren Sie Energien an der Quelle (elektrisch, pneumatisch, hydraulisch) und sichern diese gegen Wiedereinschalten (LOTO). Verlassen Sie sich niemals auf einen gedrückten Not-Halt als Ersatz für die Energie-Trennung.
Häufige Fehler, die Sie vermeiden sollten
- Not-Halt als Ersatz für Schutzgitter oder Verriegelungen verwenden.
- Betätiger schwer erreichbar montieren oder in der Gefahrzone verstecken.
- Stopp-Kategorie 2 für Not-Halt anwenden (nicht zulässig).
- Kein eindeutiger Zonenbezug oder fehlende Kennzeichnung der Zonen.
- Gemeinsame Reset-/Starttaster, die die Bedienung verwechseln lässt.
- Serienschaltungen ohne Diagnose, die Fehler nicht sicher entdecken.
- Keine regelmäßigen Funktionsprüfungen, fehlende Dokumentation der Stoppzeiten.
Praxis-Checkliste zur Not-Halt-Befehlseinrichtung gemäß EN ISO 13850
- Risikobeurteilung: Bedarf, Stop-Kategorie (0/1), PLr und Zonen definieren.
- Positionierung: Betätiger an jedem festen Bedienplatz und entlang aller relevanten Gefahren- und Laufwege.
- Ergonomie: Montagehöhe 0,6–1,7 m (Hand), standfester Aufbau (Fuß), freie Sicht und Markierung.
- Gestaltung: Roter Pilzkopf auf gelbem Hintergrund, mechanisches Halten, manuelle Entriegelung.
- Architektur: Zweikanalige, diagnostizierte Sicherheitskreise, sichere Abschaltung der Antriebe.
- Zonen: Eindeutige span-of-control-Kennzeichnung direkt an der Maschine.
- Betrieb: Getrennter Reset, kein automatischer Wiederanlauf, klare Betriebsanweisungen.
- Wartung: LOTO bei Eingriffen, regelmäßige Funktionstests, Stoppzeitmessungen dokumentieren.
FAQ
Der Not-Halt-Pilz ist rot auf gelbem Hintergrund, großflächig schlagbar und mechanisch rastend. Entriegelung erfolgt bewusst (Dreh-/Zugentriegelung).
An jedem festen Bedienplatz sowie entlang relevanter Gefahren- und Laufwege. Der nächstgelegene Betätiger muss ohne Betreten der Gefahrzone erreichbar sein.
Ja. Weisen Sie Betätigern klar definierte Teilbereiche zu und kennzeichnen Sie diese direkt an der Maschine. Die Risikobeurteilung muss die Zonenbildung rechtfertigen.
Zulässig sind Kategorie 0 (sofortiges Abschalten) und Kategorie 1 (kontrolliertes Abbremsen mit anschließendem Abschalten). Kategorie 2 ist für Not-Halt unzulässig.
Nein. Für Eingriffe nutzen Sie Energie-Isolierung und Verriegelung (LOTO) sowie den Hauptschalter. Der gedrückte Pilz ersetzt keine Energie-Trennung.
EN ISO 13850 (Not-Halt), EN 60204-1 (Elektrische Ausrüstung), EN ISO 12100 (Risikobeurteilung), EN ISO 14118 (Vermeidung unerwarteten Anlaufs), EN ISO 13849-1 bzw. IEC 62061 (Sicherheitssteuerungen).
