DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen im Praxisleitfaden für Ex-Geräte

Wer Geräte in explosionsgefährdeten Bereichen entwickelt, kommt an der DIN EN IEC 60079-0 nicht vorbei. Dieser Beitrag bündelt DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen – in einem kompakten Praxisleitfaden: von der Materialwahl über die mechanische Auslegung und Temperaturbegrenzung bis hin zu Elektrostatik, elektrischen Zündquellen und Kennzeichnung. Du erhältst konkrete Konstruktionsregeln, typische Fallstricke und pragmatische Tipps für eine reibungslose Zertifizierung.

Werkstoffe für Ex-Geräte: DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen

Werkstoffe bilden die erste Sicherheitsbarriere. Sie dürfen weder selbst zum Zündrisiko werden noch unter Umgebungseinflüssen ihre Eigenschaften verlieren. Die Norm adressiert metallische und nichtmetallische Materialien mit klaren Leitplanken.

  • Leichtmetalle (Al, Mg, Ti, Zr): Schlag oder Reibung kann zündfähige Funken erzeugen. Für Geräte mit höchstem Schutz (EPL Ga/Da, also Zone 0/20) begrenzt die Norm die Legierungsanteile stark. In der Praxis weichen Entwickler für diese Zonen auf Stahl, Gusseisen oder Edelstahl aus. Setzt du eine Legierung mit höherem Aluminium- oder Magnesiumanteil ein, kennzeichnest du das Gerät mit dem Zusatz „X“ und legst in der Anleitung spezielle Betriebsbedingungen fest (z. B. Stöße auf verrosteten Stahl vermeiden).
  • Kupferlegierungen: In Gasgruppe IIC (u. a. Acetylen) können sich auf Legierungsoberflächen Kupferacetylide bilden, die extrem reibempfindlich reagieren. Begrenze daher den Kupferanteil (typisch <≈65 % Cu) oder trenne die Oberfläche medienseitig, z. B. durch Nickel- oder Zinnbeschichtung. Für IIC-Bereiche prüfst du jedes Messing-/Bronzeteil besonders sorgfältig.
  • Kunststoffe und Elastomere: Hitze, Alterung und UV setzen ihnen zu. Die Norm fordert, dass die thermische Beständigkeit des Werkstoffs die maximale Bauteiltemperatur im Betrieb um mindestens 20 K übersteigt (z. B. 80 °C an der Wand → TI/RTI ≥100 °C). Für sonnexponierte Anwendungen brauchst du UV-Beständigkeit mit belastbaren Nachweisen. Bewährt haben sich hochwertige Polymere, etwa GFK/GRP-Gehäuse (glasfaserverstärkter Polyester) mit guter Mechanik und Medienresistenz.

Halte die Materialwahl exakt in der Dokumentation fest (Legierungs-/Typbezeichnung). So lassen sich Kennwerte verifizieren – und das reduziert Diskussionen in der Zertifizierung.

Mechanische Auslegung von Gehäusen: DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen

Ein Ex-Gerät übersteht Stöße, Druck, Vibration und jahrelangen Betrieb ohne sicherheitsrelevante Schäden. Plane die Mechanik bewusst „industriehart“.

  • Stoßfestigkeit: Je nach Gerät und Einsatz verlangt die Norm Schlagenergien von etwa 4 bis 20 J. Dimensioniere Wandstärken, Rippen und Sichtteile so, dass keine bruch- oder splitterkritischen Zustände entstehen. IK-Angaben der Gehäusehersteller helfen bei der Vorauswahl.
  • Schraubverbindungen und Deckel: Nutze tragfähige Gewinde (metrisch, Toleranzklassen 6H/6g), ausreichende Einschraubtiefe und Schraubenklassen (z. B. 8.8 oder definierte Edelstähle). Sichere Schrauben gegen Selbstlösen (z. B. Federringe, Drahtsicherung, Schraubensicherung). Konstruiere Deckelschrauben idealerweise als captives – sie fallen beim Öffnen nicht heraus.
  • Dichtungen und Fugen: Führe Dichtungen so, dass sie nicht herausfallen oder falsch eingelegt werden (formschlüssige Nuten, selbstklebend oder mechanisch gehalten). Öffnungen dürfen in Ex-Zonen nur mit Werkzeug zugänglich sein – vermeide handbetätigte Clips.
  • Vibration: Sichere Gewinde, führe Leitungen spannungsfrei, wähle flexible Verbindungen. Stell sicher, dass Stellteile unter Schwingung nicht in gefährliche Positionen wandern.

Eine robuste Mechanik verhindert schleichende Degradation und akute Ausfälle. Denke an die Lebensdauer im Feld: Raffinerien, Silos und Bergbau kennen keine Schonung.

Maximaltemperaturen sicher beherrschen

Zu hohe Oberflächentemperaturen können Gase oder Stäube entzünden. Behalte Hotspots unter allen spezifizierten Betriebsbedingungen im Griff – inklusive Umgebung, Sonneneinstrahlung und Lastfällen.

  • Temperaturklassen T1–T6 (Gas): T1 erlaubt 450 °C, T6 nur 85 °C. Lege die Zielklasse früh fest. Kein Punkt der Oberfläche darf den Grenzwert überschreiten – auch nicht im ungünstigsten Fall. Ohne Abweichung gilt Ta = −20…+40 °C; deklarierst du mehr, musst du es konstruktiv und messtechnisch belegen.
  • Staubatmosphären: Statt T-Klassen gilt ein Tmax-Wert in °C. Berücksichtige Schichtstaub (typisch 5 mm). Staub isoliert thermisch – das erhöht die Bauteiltemperatur. Entweder schaffst du konstruktiv Reserve oder du forderst Reinigungsintervalle und kennzeichnest das mit „X“.
  • Transiente Effekte: Prüfe Anlauf, Lastsprünge und Abkühlverhalten nach dem Abschalten. Temperatursicherungen, Grenzwertwächter oder passive Reserven verhindern Überschreitungen in dynamischen Situationen.

Plane die Thermik wie ein kleines Projekt: Verlustbilanz, Bauteilanordnung, Wärmewege, Kühlrippen, ggf. Wärmesperren am Gehäuse. Wenn Anwender +50 oder +60 °C Umgebung fordern, musst du das ausdrücklich spezifizieren und validieren – sonst liegt die T-Klasse im Feld daneben.

Elektrostatik: DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen

Statische Aufladung auf Isolatorflächen kann sich schlagartig entladen – und zünden. Reduziere Ladungsaufbau an der Quelle und leite Restladungen sicher ab.

  • Große Isolatorflächen vermeiden: Vermeide ausgedehnte Kunststofffenster oder -hauben. Wenn nötig, setze antistatische Materialien (z. B. leitfähig gefüllte, oft schwarze Kunststoffe) oder beschichte isolierende Flächen leitfähig und erde sie. Warnhinweise wie „nur feucht reinigen“ sind möglich – die bessere Lösung bleibt eine materialseitig sichere Ausführung.
  • Lacke, Beschichtungen, Folien: Dicke isolierende Farbschichten verhalten sich wie Nichtleiter. Halte Lackschichten schlank (z. B. <0,2 mm in IIC), nutze antistatische Systeme oder leitfähige Primer unter Decklack. Bedenke auch großflächige Etiketten und Folien als potenzielle Ladungssammler.
  • Isolierte Metallteile: „Schwebende“ Metallelemente auf Kunststoff können sich aufladen und funken. Führe sie leitend zur Masse oder minimiere Größe und Kapazität so, dass keine zündfähige Energie entsteht.
  • Praxisbeispiele: Schüttgut in Kunststofftrichtern lädt Oberflächen; trockenes Abwischen erzeugt leicht hohe Spannungen. Setze Materialien mit Oberflächenwiderstand ≤10^9 Ω ein, erde konsequent und vermeide trockene Reibung bei der Reinigung.

Je mehr Kunststoff, desto strenger musst du die Elektrostatik führen. Plane ggf. Prüfungen (z. B. Reibtests) ein – so belegst du die Eignung frühzeitig.

Elektrische Zündquellen wirksam ausschalten

Neben Statik drohen Funken, Lichtbögen oder heiße Oberflächen aus der Elektrik. Eliminiere Zündquellen bereits im Schaltplan und wähle das zur Anwendung passende Schutzkonzept.

  • Keine offenen Funken in Normalbetrieb: In Ex e sind ischende Bauteile tabu; in Ex d sind sie eingeschlossen, aber deine Flammenspalte müssen normkonform sein (s. 60079‑1). Für Ex i begrenzt du Energie und Leistung (s. 60079‑11). Baue Platinen, Kabel und Kleinteile so, dass keine losen Teile Kurzschlüsse provozieren.
  • Energiespeicher entladen: Kondensatoren >200 V musst du nach Abschalten automatisch auf ein nicht zündfähiges Energieniveau entladen (Richtwerte: ≤0,2 mJ I/IIA, ≤0,06 mJ IIB, ≤0,02 mJ IIC). Dimensioniere Entladewiderstände so, dass in Sekunden ein sicherer Zustand erreicht ist. Andernfalls warnst du mit definierter Wartezeit – besser du konstruierst ohne Wartehinweis.
  • Streu- und Wirbelströme: Große Antriebe induzieren Ströme in Gehäusen und über Lager. Setze Wellenerder oder isolierte Lager und verbandle Gehäuseteile zusätzlich (Bonding). Sichere elektrische Kontinuität über bewegte Verbindungen, ergänze ggf. Erdungsbrücken. Korrosionsschutz verhindert Kontaktverlust und Funkenbildung.
  • Funk/RF: Sendeleistung kann Bauteile erwärmen. Halte dich an die RF-Grenzen (9 kHz–60 GHz; typ. ≈6 W, in IIC ≈2 W als grobe Richtwerte). Mit WLAN/BLE liegst du gewöhnlich weit darunter; leistungsstarke Funkstrecken prüfst du konzept- und antennenseitig gesondert.

Analysiere jedes potenzielle Zündrisiko – vom Relaiskontakt bis zur Antenne. Setze das passende Schutzprinzip um und dokumentiere besondere Bedingungen („X“) klar verständlich.

Kennzeichnung, „X“ und Ex‑Komponenten („U“): DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen

Die Kennzeichnung verdichtet die sicherheitsrelevanten Eigenschaften deines Produkts. Lege den Ziel-Code früh fest – davon hängen viele Detailforderungen ab.

  • Ex-Code und Kategorien: Beispiel Gas: II 2G Ex db IIC T4 Gb. Das bedeutet: Gruppe II (Industrie), Kategorie 2 (Zone 1), Schutzkonzept Ex d, Untergruppe IIC, T4 (≤135 °C), EPL Gb. Für Staub etwa: II 2D Ex tb IIIC T120°C Db.
  • Pflichtangaben auf dem Typenschild: vollständiger Ex-Code, Herstellername und -anschrift, Modell, Zertifikatsnummer (nach Erhalt), Umgebungstemperaturbereich, Seriennummer oder Baujahr, CE-Kennzeichnung und Nummer der notifizierten Stelle (ATEX), ggf. „X“ oder „U“.
  • Ex‑Komponenten („U“): Setze zertifizierte Komponenten ein (z. B. Flammendurchführungen, Klemmen Ex e). Beachte deren Einsatzbedingungen – Wanddicke, Anzugsmomente, Leitungsbereiche. Komponenten tragen kein eigenes CE; du integrierst sie normgerecht und dokumentierst die Bedingungen.
  • Spezielle Bedingungen („X“): Formuliere klare Betriebsauflagen, z. B. eingeschränkter Ta‑Bereich, periodische Staubreinigung, Materialeinschränkungen (z. B. Aluminium in bestimmten Atmosphären), zulässige Ersatzteile und Toleranzen.

Beispiel: Industrie‑Kamera für Zone 1/21 mit Ex‑d‑Gehäuse und Sichtfenster: II 2GD Ex db IIC T5 Gb Ex tb IIIC T100°C Db. Du wählst ein zertifiziertes Fenster („U“), montierst es nach Vorgaben, nutzt passende Kabelverschraubungen mit Ex‑Zulassung und dokumentierst Montage, Dichtungen und Anzugsmomente präzise.

Praxistipps für eine reibungslose Zertifizierung

  • Service mitdenken: Standardisiere Schrauben, führe Dichtungen fehlersicher und markiere Verschleißteile. Erleichtere Prüfungen, z. B. durch Sichtfenster oder gut zugängliche Messpunkte. Erstelle Checklisten früh im Designprozess.
  • Prototypen realitätsnah testen: Prüfe Stoßfestigkeit, Temperaturgrenzen (inkl. −20/+60 °C), Elektrostatik (Reibtests), Dichtheit und Vibrationsreserven. Besser du findest Schwächen im Labor als der Auditor im Termin.
  • Früh mit dem Prüflabor sprechen: Kläre Interpretationsfragen, Materialgrenzen und knifflige Punkte rechtzeitig. So entwickelst du „in Richtung Zertifikat“ statt „auf Verdacht“.
  • Installation im Blick behalten: Baue Reserve‑Durchführungen statt späterer Bohraufträge, sichere Batteriewechsel gegen Arbeiten unter Spannung, gestalte Klemmbereiche praxisnah.
  • Fertigungstauglichkeit und Details: Definiere Rauheiten an Flammenspalten (typisch ≤6,3 µm Ra), wähle Dichtwerkstoffe passend zum Temperatur- und Medienprofil (z. B. VMQ, FKM), dokumentiere Stücklisten und Spezifikationen sauber.

Ergänzende Normen und Lessons Learned

  • Weitere Teile der 60079/80079‑Reihe: Ex d (60079‑1), Ex e (60079‑7), Ex i (60079‑11), Staubschutz durch Gehäuse (60079‑31). Für nicht elektrische Geräte: ISO 80079‑36/‑37.
  • Installation und Instandhaltung: 60079‑14 (Planung/Montage) und 60079‑17 (Inspektion/Wartung) beeinflussen die Gebrauchstauglichkeit deines Designs.
  • Felderfahrung: Sammle Feedback von Betreibern, analysiere Vorfälle und Ausfälle. Diese Einblicke zahlen direkt auf robuste Konstruktionen ein.
  • Weiterbildung: Halte Normenstände aktuell, besuche Schulungen und verfolge Interpretationshinweise. Das spart Iterationen im nächsten Projekt.

Fazit: Was zählt im Ex‑Design wirklich?

Ex‑Design gelingt, wenn du Zündquellen konsequent ausschaltest, Temperaturen sicher beherrschst, Werkstoffe bewusst auswählst, die Mechanik robust auslegst und sauber dokumentierst. Die Norm liefert Leitplanken – deine Konstruktion entscheidet über Reserve, Bedienbarkeit und Langlebigkeit. So bringst du Geräte verlässlich durch die Zertifizierung und sicher in den Einsatz.

FAQ: DIN EN IEC 60079-0:2018 – wichtigste Anforderungen

1. Gilt DIN EN IEC 60079-0:2018 nur für elektrische Geräte?

Nein. Die Norm adressiert alle Geräte, die wirksame Zündquellen erzeugen können – elektrische und nicht elektrische (z. B. Funken an Lagern oder heiße Oberflächen).

2. Warum legt die Norm so viel Gewicht auf Werkstoffe?

Weil falsche Legierungen oder Kunststoffe Funken, Elektrostatik oder Übertemperatur begünstigen. Die richtige Materialwahl reduziert diese Zündrisiken grundlegend.

3. Enthält die Norm Vorgaben zu IP-Schutzarten?

Ja. Die Norm nennt Mindestanforderungen an die Dichtheit (z. B. IP54, IP6X), damit weder Staub noch Wasser gefährdend ins Gerät eindringen.

4. Wer verantwortet die Kennzeichnung?

Der Hersteller des Endgeräts. Er bringt den vollständigen Ex-Code und alle Pflichtangaben an und stellt die dazugehörige Dokumentation bereit.

5. Was tun, wenn eine Forderung schwer umsetzbar erscheint?

Frühzeitig mit dem Ex-Prüflabor abstimmen. Oft existieren zulässige Alternativen (z. B. anderes Schutzkonzept, geänderter Temperaturbereich), die die Norm abdeckt.

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